Zwangssterilisationen von Sinti und Roma in den Großen Krankenanstalten

Städtische Krankenanstalt, 1938 (Foto Stickelmann)
Städtische Krankenanstalt, 1938 (Foto Stickelmann)
17. Mai 1944
St. Jürgenstraße Krankenhaus, Bremen-Mitte

Nach der Deportation im März 1943 noch in Bremen lebende Sinti und Roma sollten aufgrund des „Auschwitz-Erlasses“ Himmlers und des Schnellbriefes vom 29. Januar 1943 sterilisiert werden:

„III. Soweit der II 3 bis 9 angeführte Personenkreis von der Einweisung in das Konzentrationslager ausgenommen wird, ist wie folgt zu verfahren:

  1. Die Einwilligung zur Unfruchtbarmachung der über 12 Jahre alten aber noch nicht sterilen zigeunerischen Personen ist anzustreben;
  2. Volljährige Personen haben im Falle der Einwilligung eine unterschriftliche oder mit dem Abdruck des rechten Zeigefingers versehene Erklärung abzugeben, die dem Reichskriminalpolizeiamt unter Angabe der Personalien in zweifacher Ausfertigung zu übersenden ist;
  3. Bei Minderjährigen über 12 Jahre ist die Erklärung vom gesetzlichen Vertreter abzugeben;
  4. Im Falle der Weigerung entscheidet nach Darlegung der Gründe das Reichskriminalpolizeiamt über das zu Veranlassende.“

Da die „Einwilligung“ zur Sterilisation jedoch unter Drohungen, z.B. der Deportation in ein KZ, erzwungen wurde, kann von einer freiwilligen Zustimmung zur Sterilisation nicht gesprochen werden. Zutreffender ist daher der Begriff „Zwangssterilisationen“.

Über die drohende Zwangssterilisierung berichtete Helene Trollmann: „Auf jedem Fall hatten wir Angst und unterzeichneten die Erklärung. Gleich danach brachte uns Mündtrath persönlich mit der Straßenbahn zur Frauenklinik innerhalb der Großen Krankenanstalten. Der Leiter der Klinik war meiner Erinnerung nach der Professor Hirsch-Hoffmann. Nach etwa zwei oder drei Tagen wurde an uns die Sterilisation vorgenommen. […] Nach der Operation verblieben Frau Heitmann und ich noch ca. 14 Tage in der Klinik.“

Die Anzahl der in Bremen zwangssterilisierten Sinti ist nicht mehr mit Sicherheit anzugeben, da die Akten darüber vernichtet wurden. Über zehn Fälle sind jedoch Akten erhalten.

Die Unfruchtbarmachungen wurden von den Ärzten Dr. Ernst-Hermann Bartels und Oberarzt Dr. Winderlich auf Beauftragung durch Prof. Dr. Hirsch-Hoffmann in der Zeit vom 17. bis 24. Mai 1944 durchgeführt. Die Umstände schilderte ein Sinto und 14jähriges KPD-Mitglied: „Ich wurde auf einen Operationstisch gelegt und an Händen und Füßen dermaßen festgeschnallt, dass nach der Sterilisation meine Hände und Füße wie abgestorben waren. Schlimmer konnte man ein Schwein auch nicht zur Schlachtbank führen…“ Und ein anderer Sinto berichtete: „Mir wurden in örtlicher Betäubung beide Samenstränge durchgeschnitten…“

In manchen Fällen wurden die Eltern gezwungen, in die „freiwillige“ Sterilisation ihrer Kinder bei Erreichen der Geschlechtsreife einzuwilligen.

Weder die Ärzte noch die Kriminalbeamten mussten nach 1945 für ihre Mitwirkung an diesen Zwangssterilisationen mit einer Strafe rechnen. Und in der so genannten „Wiedergutmachung“ wurden Zwangssterilisationen nicht als NS-Verfolgungsmaßnahme anerkannt. Eine Sintezza, die am 24. Mai 1944 zwangssterilisiert worden war beschied das Landesamt für Wiedergutmachung: „Das Entschädigungsgesetz kennt eine Wiedergutmachung für Sterilisationsfälle nicht“. Außerdem sei ihr nach Ansicht des Landesamtes kein Schaden an Körper und Gesundheit entstanden. Selbst wenn die Zwangssterilisation aus rassischen Gründen erfolgt sei, so gehe die Ansicht der Ärzte „allgemein dahin, dass durch eine Sterilisation eine geistige oder körperliche Schädigung nicht eintritt“.
Medizinalrat Dr. Carow vom Bremer Hauptgesundheitsamt, ein noch in den 1950er Jahren überzeugter Anhänger eines „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, bestätigte diese Ansicht, nachdem er die Frau untersucht hatte. Nicht schwanger werden zu können, sei bestenfalls „ein zeitlich begrenzter körperlicher Schaden.“ Die Zwangssterilisation bezeichnete der Arzt als „aus eugenischen Gründen“ erfolgt. Ein Einspruch der Frau hiergegen – „Ich erkenne die Ansicht ihrer Ärzte […] nicht an, […] da ich seit der Sterilisation am 24.5.1944 sehr schlimm an gesundheitlichen Störungen leide“ – blieb wirkungslos.

Dr. Hans Hesse

Literatur:
„Kein Einzelfall: Zwangssterilisation bei Elisabeth Bernhardt und anderen Bremen Sinti“ in: Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 65–72.

Quellen:
In dem Ermittlungsverfahren und in dem Entnazifizierungsverfahren gegen den Kriminalsekretär Wilhelm Mündtrath finden sich zahlreiche Aussagen: StA Bremen, 4, 89/3 – 710, Ermittlungsverfahren gegen Wilhelm Mündtrath: Aussage Dr. Ernst-Hermann Bartels vom 19.8.1948, Bl. 113; StA Bremen 4, 66 – I. Mündtrath, Wilhelm, geb. 17.3.1898, 7744: Abschrift der Zwangssterilisationsverfügung vom 9.3.1944, Bl. 151; StA Bremen 4, 66 – I. Mündtrath, Wilhelm, geb. 17.3.1898, 7744: Aussage Dr. Ernst-Hermann Bartels vom 19.8.1948, Bl. 142.

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