Anni Schwarz wurde am 23. September 1926 in Metz (Frankreich) geboren. Sie war die zweitälteste Tochter der Familie Wilhelm und Anna Schwarz. Als Anni zwei Jahre alt war, kam die Familie nach Bremen. Ab 1935 wohnte die Familie in der Bamberger Straße im Stadtteil Findorff. Zu diesem Zeitpunkt betrieb ihre Mutter einen Kurzwarenhandel. Möglicherweise wohnte die Familie zu diesem Zeitpunkt in einem Wohnwagen. Seit dem 15. April 1939 dann in der Findorffstraße 99, neben dem Schlachthof, dem heutigen Kulturzentrum. Die schulpflichtigen Kinder gingen in die Schule in der nahen Gothaer Straße. Eine der Schwestern arbeitete bei Karstadt. Der Vater Wilhelm durfte seinen Beruf zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ausüben und arbeitete als Kraftfahrer für eine Drogerie.
1933 war ein Einschnitt im Leben von Anni Schwarz. In diesem Jahr war der Schulanfang der 7-jährigen. Dieser Schulbeginn wurde für Anni vermutlich kein Freudentag. Denn mit dem Schulbeginn wurde sie ihrer Familie entzogen. Sie kam in eine Pflegschaft. In den Entschädigungsakten sagt eine Zeugin aus, dass die Pflegemutter sich Anni Schwarz „als Pflegekind hielt“. Es ist sehr schwierig diese Worte zu interpretieren. Wir wissen so gut wie nichts darüber, warum Anni in eine Pflegschaft kam. Die Akten existieren nicht mehr. Der Beginn der Pflegschaft und ihr Schulbeginn fallen aber zusammen, so dass vermutet werden darf, dass es einen Zusammenhang gibt. Er könnte darin begründet gewesen sein, dass die Familie viel auf Reisen gewesen war, der Vater Wilhelm war Musiker, und ein Schulbesuch für Anni somit damals nicht sichergestellt war. Somit begann für Anni schon sehr früh ein Eingriff der NS-Behörden in ihr Leben. Und nicht erst 10 Jahre später mit der Deportation im März 1943 nach Auschwitz. So genannte Pflegschaften waren nicht selten, siehe das Beispiel der Mariechen Franz.
Am 8. März 1943 wurde Anni Schwarz von der Polizei abgeholt. Zwei Beamte fuhren mit dem fassungslosen und völlig unvorbereiteten Mädchen in der Straßenbahn zum Schlachthof, wo sie auf ihre Eltern und Geschwister traf. Von einer Sekunde auf die andere war ihr bisheriges Leben und ihre Zukunft zerplatzt wie eine Seifenblase. Sie hätte Frisörin werden können, sie hatte bereits eine Lehrstelle, die sie Ostern antreten wollte. Ostern war 1943 Ende April. Nur knappe 6 Wochen trennten sie von dieser Normalität. Stattdessen war sie Ende April im Vernichtungslager Auschwitz und ihr zweitjüngster, 3-jähriger Bruder bereits gestorben, obwohl, wir sollten sagen: ermordet worden. Ihr Berufswunsch war eigentlich ein anderer. Sie wollte Porzellanmalerin werden. Sie zeichnete gern. Was sie noch bis ins hohe Alter tat. Diesen Wunsch konnte sie sich nie verwirklichen. Stattdessen musste sie im Restaurant ihrer Pflegemutter mitarbeiten.
Annis Mutter und Vater starben im Juni und Juli 1943 in Auschwitz, lediglich drei Monate nach ihrer Ankunft dort. Von da ab waren die beiden ältesten Schwestern für ihre Geschwister der Elternersatz. Zum Zeitpunkt des Todes der Eltern waren bereits drei Geschwister tot: der vier Monate alte Säugling Ehrenfried, ihr zweitjüngster Bruder Adolf, 3jährig und die jüngste Schwester Ilse, 7 Jahre alt. Bei Ilse kennen wir die Todesursache: Noma, das ist „Wasserkrebs“. Er entsteht durch Hunger und Entkräftung vor allem bei Kindern und zerfrisst die Weich- und Knochenteile des Gesichts. Sehr wahrscheinlich starb auch eine weitere Schwester, Gisela Schwarz, an dieser fürchterlichen Erkrankung.
Man kann sich nur schwer vorstellen, was das für eine 16-jährige bedeutet, die ihren 17. Geburtstag in Auschwitz begehen musste. Die beiden Schwestern mussten miterleben, wie schließlich alle acht Geschwister verstarben. Als Anni im April 1944 in das Frauen-KZ Ravensbrück deportiert wurde, lebte nur noch ihre ein Jahr ältere Schwester Gertrud. Anni kam nach Ravensbrück, Gertrud starb im Juni 1944 in Auschwitz, drei Monate nachdem sie 19 Jahre alt geworden war.
Die Häftlinge in Ravensbrück erfuhren, dass das Lager in Auschwitz liquidiert worden war. Damit wusste auch Anni, dass sie nun die einzige ihrer Familie war. Anni Schwarz überlebte.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus kam sie kurz nach Bremen zurück. Sie schaute, ob es noch Dinge in der Stadt gab, die an ihre Familie erinnerten. Es war aber nichts mehr zu finden. Bis auf zwei Angelruten ihres Vaters, die lange Zeit im Besitz einer Sintezza waren. Anni Schwarz verließ Bremen. Sie heiratete in der DDR, bekam zwei Kinder, flüchtete mit ihrem Ehemann in den Westen. Eines der Kinder starb. Diesen Tod hat sie nicht verwunden. Sie sei in der DDR eine Heldin („Opfer des Faschismus“) gewesen, erzählt Erdmann Grimm, der Sohn von Anni. Sie habe ihre Tätowierung, die Z-Nummer 2322 aus Auschwitz nicht versteckt, sondern offen gezeigt. Im Westen habe sich das geändert. Ihr Sohn sagt: „Die Nummer hat sie immer abgeklebt, mit einem Pflaster, sehr oft. Das hat sie gemacht, wenn wir irgendwo hingefahren sind, wo sie die Leute nicht kannte. Sie hat sich nicht dafür geschämt, sie hat nur Angst gehabt, nicht nur um sich, vor allem um ihre Kinder.“ Und weiter: „Sie konnte nie verstehen, dass so etwas in Deutschland passieren konnte. Sie sagte immer, es ist so schlimm, man sollte nicht weiter darüber sprechen in der Öffentlichkeit, weil es noch genug richtige Nazis gibt, die damals gelebt haben, und auch verkappte, heute noch. Sie hat immer Angst gehabt.“ Auch habe sie nur ganz wenig über ihre Verfolgung und ihre Erlebnisse erzählt. „Wenn sie was erzählt hat,“ berichtet der Sohn, „dann kamen ihr öfter mal die Tränen, das weiß ich noch, weil wenn eine Mutter weint, das ist ganz schlimm für ein Kind.“ Diese Angst, als Sintezza identifiziert zu werden, diese Vorsicht im Umgang mit ihren Mitmenschen prägte ihr Leben.
Dies hielt sie aber nicht davon ab, über Jahrzehnte Kontakte nach Bremen zu pflegen. Sie war befreundet mit einer wie sie aus Bremen stammenden Sintezza, deren ganze Familie ebenfalls von den Nationalsozialisten ermordet worden war: Agathe Winter, geborene Bamberger. Der Ehemann dieser Freundin, Harry Winter, ein ebenfalls aus Bremen stammender und in der NS-Zeit hier verfolgter Sinto, nahm den Sohn von Anni sonntags immer mit zum Angeln an die Wümme. Er brachte ihm auch ein wenig Romanes bei. Seine Mutter, die selber fließend Romanes sprach, wollte das eigentlich nicht. „Das ist zu gefährlich,“ habe sie seinen Wunsch, auch Romanes zu lernen, immer abgelehnt, „es gibt noch zu viele Nazis.“
Anni Grimm starb am 25. März 2007 in Wolfsburg. Bei ihrer Beerdigung verwendete der Pfarrer ein Kreuz, dass aus Stacheldraht aus Auschwitz gemacht worden war. Erst hier, auf ihrer Beerdigungsfeier erfuhren viele zum ersten Mal, dass Anni Grimm eine Verfolgte des Nationalsozialismus war und dass sie das Vernichtungslager Auschwitz überlebt hatte.
Seit dem 11. September 2022 ist der Platz vor dem Kulturzentrum Schlachthof in „Familie-Schwarz-Platz“ umbenannt worden.
Dr. Hans Hesse
Literatur:
Hesse, Hans, „Grund meiner Verhaftung war meine zigeunerische Abstammung“ – Die NS-Verfolgung der Familie Wilhelm Schwarz, in: Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 85–89.
Brutin, Batya, Etched in Flesh and Soul. The Auschwitz Number in Art, Berlin/Boston 2021.
Online: Hesse, Hans, Ein tätowiertes Z auf dem Unterarm (https://wkgeschichte.weser-kurier.de/ein-taetowiertes-z-auf-dem-unterarm/).
Quellen:
Nds. Landesarchiv Hannover, Nds. 110 W Acc. 32/99 Nr. 300234 Stumpe, Anni.
Staatsarchiv Bremen 4, 54 – E 11652 Grimm Anni, geb. Schwarz, geb. 23.9.1926.