Hinweis! Dieser Text enthält explizite Schilderungen von Gewalt.
Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) erwirbt 1924 das Grundstück und das Haus am Buntentorsteinweg 95 und richtet dort die Zentrale für den Bezirk Nord-West ein. Hier bezieht auch die Verlagsgenossenschaft Nord-West als Herausgeberin der regional verbreiteten kommunistischen „Arbeiter-Zeitung“ ihre Redaktionsräume. Gedruckt wird die Zeitung, ebenso wie zahlreiche Druckschriften, im Anbau hinter dem Haus. Mit seiner großen roten Fahne, den Transparenten und Plakaten an der Fassade ist das Haus weithin als Zentrum der kommunistischen Bewegung zu erkennen. Im Volksmund wird es deshalb das „Rote Haus“ genannt.
Das „Rote Haus“ ist während der Weimarer Republik wiederholt Zielscheibe von Provokationen der erstarkenden NS-Bewegung. Im Oktober 1932 dringen Kräfte der Politischen Polizei und der Kriminalpolizei in die Räume ein. Die Druckmaschinen werden stillgelegt und versiegelt. Die Herausgabe der Zeitung wird für die Zeit vom 30. November bis zum 13. Dezember verboten. Diese massive Behinderung der Öffentlichkeitsarbeit der KPD wird im Frühjahr 1933 fortgesetzt. So gibt es ein erneutes Erscheinungsverbot für die „Arbeiter-Zeitung“ vom 25. Februar bis zum 2. März 1933.1
Am 30. Januar 1933 ernennt der Reichspräsident Paul von Hindenburg den Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, zum Reichskanzler. Bereits am 28. Februar werden im Reichstag die Notverordnungen unter den Titeln „Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volk und Staat“ und die „Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volke und verräterische Umtriebe“ in Kraft gesetzt. Das ist das Fanal für die Nazis, mit aller Brutalität gegen Antifaschisten vorzugehen. Zunächst gegen die KPD, später auch gegen die SPD, die Gewerkschaften und weitere Menschen, die nicht der NS-Ideologie entsprechen.
Schon am 1. März 1933 wird das „Rote Haus“ Zielscheibe eines massiven Polizeieinsatzes. Die Transparente und Plakate an der Fassade müssen auf polizeiliche Anordnung entfernt werden. Das Haus wird beschlagnahmt.2
Am 13. April 1933 versammelt sich am Leibnizplatz eine Abordnung der SA (Sturmabteilung, seit 1921 paramilitärische Kampforganisation der NSDAP) und marschiert zum „Roten Haus“. Nach markigen Worten des Sturmbannführers Köwing wird das Haus durch den Polizeisenator Laue an den SA Sturmbann 3/75 übergeben. Noch am selben Tag wird unter dem Jubel der SA die Hakenkreuzfahne auf dem ehemaligen Zentrum der kommunistischen Partei gehisst. Zugleich wird angekündigt, das Haus künftig „Johann-Gossel-Haus“ zu nennen. Mit dieser Namensgebung ehrt die SA einen Parteigänger, den sie als Märtyrer aufbaut.3,4,5 Siehe dazu das untere Bild in der Fotoleiste, das freundlicherweise von Carsten Martens und dem Temmen Verlag Bremen zur Verfügung gestellt wurde.
Vom Leibnizplatz setzt sich am 22. April 1933 eine Demonstration der SA mit wehenden Fahnen und Schalmeienkapelle in Richtung des ehemaligen „Roten Haues“ in Bewegung. An diesem Tag wird die offizielle Umbenennung in „Johann-Gossel-Haus“ vollzogen.6
Mit der endgültigen Inbesitznahme durch die SA beginnt auch die Nutzung der Räume als Folterstätte für Antifaschisten. In den Kellerräumen erhalten insbesondere verhaftete Kommunisten, die der SA durch die Gestapo zugeführt werden, eine „Sonderbehandlung“. Ein beschönigendes Wort für brutale Gewalt und Folter, wie sie später von den dort misshandelten Zeitzeugen Wilhelm Schäfer (KPD)7 und dem Seemann Willy Schefter8 beschrieben werden.
Neben den martialischen Reden am Buntentorsteinweg hat die SA für diesen Tag einen weiteren Höhepunkt ihres Triumphes geplant. Am Hohentorsplatz sind die Bremer SA-Formationen aufmarschiert. Mit Appellen und aggressiven Parolen werden die NS-Parteigänger auf den nächsten Akt eingestimmt: Im Schein der aufkommenden Dunkelheit werden Druckschriften9, das Archiv der „Arbeiter-Zeitung“ sowie Fahnen, Uniformen des Rotfrontkämpferbundes (RFB), Transparente der KPD und SPD öffentlich verbrannt.
Am 18. Mai 1935 wird das ehemalige „Rote Haus“ vom NS-Staat auf Grund des Gesetzes zur Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 enteignet. Die Liegenschaft wird der Stadtgemeinde Bremen zugeschrieben.
In der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 organisiert die SA ausgehend vom Gossel-Haus den Terror gegen die jüdische Bevölkerung, insbesondere in der Neustadt. Von hier aus begeben sich die beiden SA-Leute Ernst und Wilhelm Behring in die Thedinghauserstraße, wo sie den jüdischen Kaufmann Heinrich Rosenblum10 kaltblütig ermorden. Ebenfalls in dieser Nacht wird in der Neustadt die jüdische Geschäftsführerin einer Fahrrad- und Motorradhandlung nebst Werkstatt, Selma Zwienicki, in der Hohentorstraße 49/53 durch SA-Kräfte getötet.11
Eine ausführliche Dokumentation zur langen Geschichte des „Roten Hauses“ finden sie hier.
Am 28.05.2016 hat der Verein „Erinnern für die Zukunft“ in Zusammenarbeit mit der DENKORTE Initiative Neustadt in der Grünanlage neben dem ehem. Haus eine Infostele aufgestellt, die an die Geschichte des „Roten Hauses“ erinnert. Die feierliche Übergabe übernahmen der bekannte Bremer Anwalt Heinrich Hannover und Jens Oppermann als Sprecher des Beirats Neustadt.
In einem Ausschnitt eines Video-Interviews mit dem USC Shoah Foundation Institute schildert der Zeitzeuge Willy Hundertmark seine Eindrücke über die Sonderbehandlung durch die Nazis
1 Zitiert nach Zwölf Jahre Bremen 1933 – 1945, eine Chronik von Fritz Peters, erschienen 1951.
2 Der Drucker Willi Seipel erinnert sich an dieses Ereignis wie folgt: „Am 1. März, am Tag nach dem Reichstagsbrand, stürmten gegen 13 Uhr die Besatzungen von zwei Überfallwagen der damaligen Bereitschaftspolizei das „Rote Haus“ sowie die Redaktionsräume der „Arbeiter-Zeitung“ und das Druckereigebäude, in dem die Arbeiter-Zeitung“ gedruckt wurde. Wir, die Setzer und Drucker und das andere Personal, bekamen zwei Minuten, die Druckerei zu verlassen. Die hereinstürmenden Bereitschaftspolizisten, die wie immer Gewehre trugen, stürmten in die Setzerei und Druckerei und fegten die fertigen Sätze von den Montagetischen und rissen die Setzkästen aus den Regalen. Sie verwüsteten die Druckerei. Das konnten wir in dieser kurzen Zeit noch sehen. Die „Arbeiter-Zeitung“ selbst war schon, wie so oft, seit Tagen verboten. Die Rotationsmaschine war angekettet und versiegelt. Aber auf den Flachdruckmaschinen wurde bis dahin noch gedruckt. Ein im Satz fertiger Aufruf des ZK der KPD gegen den faschistischen Terror und gegen die Reichstagsbrandlüge, mit der die Kommunisten zu Brandstiftern am Reichstag gestempelt werden sollten, konnte nicht mehr in Druck gehen. Wir, die Belegschaft, wurden unter Drohungen sofort aus dem Betrieb gedrängt. Mit Mühe gelang es mir noch, mein Fahrrad zu retten. Im Parteihaus fanden die Polizeikommandos nichts mehr vor, was sie zerstören oder beschlagnahmen konnten. Die Parteiführung war schon in Erkenntnis des kommenden Terrors seit Tagen in die Illegalität gegangen. Das Haus war bis auf den letzten Stuhl geräumt.“ Quelle: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 1945, Autorin: Susanne Engelbertz, Herausgegeben vom Studienkreis: Deutscher Widerstand, Seiten 61/62
3 Quelle: Bremer Nationalsozialistische Zeitung, 14. April 1933
4 Johann Gossel war aktiver Parteigänger der Nazis und organisierte sich in der SA. In den Abendstunden des 14. Juni 1931 provoziert er mit etwa 15 weiteren Gesinnungstätern in Huckelriede die Teilnehmer eines Kultur- und Sportfestes der KPD. Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Der SA-Mann Gossel wurde durch einen Messerstich getroffen und stirbt Tage später an seinen Verletzungen. Am 26. Juni 1931 wird Gossel auf dem Buntentorsfriedhof beerdigt. Die SA-Führung nutzt den Tod, um Gossel zum Märtyrer für die nationalsozialistische Bewegung aufzubauen. Dem Sturm 3/75 wird im Rahmen der abendlichen Trauerfeier im „Casino“ die Berechtigung verliehen, die Bezeichnung „Sturm 3 Gossel“ zu führen.
Zitiert nach „Zwölf Jahre Bremen 1921 – 1932“, Seiten 178/179, eine Chronik von Fritz Peters, erschienen 1938.
5 Zum Kult um Gossel gehört ebenso die Umbenennung des Huckelrieder Parks in „Johann-Gossel-Park“. Am 21. Juni 1934 wird dort aus diesem Grund unter großem Aufzug der SA ein Gedenkstein an Gossel errichtet.
Quelle: Staatsarchiv, Akte 9,S 0-3930 Johann-Gossel-Park
6 Quelle: Bremer Nationalsozialistische Zeitung vom 23. April 1933
7 Wilhelm Schäfer (KPD) wird 1933 zum Verhör ins Gossel-Haus geholt und dort mehrfach bis zur Besinnungslosigkeit zusammengeschlagen: „Und dann habe ich gesehen, wie unten die SA saß an einem langen Tisch und ihre Mittagsmahlzeit einnahm. Und dieses Gelächter von denen, dieses höhnische, das hat mich so erschüttert, da habe ich mir gesagt: aus dir können sie nur den Tod herausholen und sonst gar nichts.“
Quelle: Bremen zu Fuß, Seiten 232/233, VSA Verlag, Hrsg.: Gatter/Müser
8 Von den brutalen Misshandlungen im Gossel-Haus berichtet der Zeitzeuge Willy Schefter, ein Seemann aus dem Interclub: „Ich wurde eine Woche nach Willi Müller verhaftet … und gefoltert wie er. Da man im Gefangenenhaus Ostertor keine Aussage von mir erpressen konnte, wurde ich ins Gosselhaus am Buntentorsteinweg gebracht. Als man mich morgens um 9 Uhr vom Gefangenenhaus abholte, sagte man mir, jetzt geht es nach Golgatha. Aber erst fuhr man mich durch die Innenstadt, und ich sollte, falls ich Bekannte sähe, sagen: dort einer, dort einer. Dann würde es nicht so schlimm werden. Oben im „Roten Haus“ angekommen, saß Sturmbannführer Köpping und lachte hämisch: Nun rück mal raus mit den Namen, die du weißt, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben … Dann wurde ich geschlagen, erst ins Gesicht, usw. Eine halbe Stunde Verhör wurde ich dem Kommando z.b.V. (zur besonderen Verwendung – d. Verf.) übergeben, einem Schlägertrupp der SA … Eine halbe Stunde schlugen die nun auf mich ein, dann wurde ich wieder nach oben gebracht … Und dann wieder z.b.V. die zweite Tortur begann und nochmal … Mittlerweile war es Nachmittag geworden, und die Gestapo wollte nach Hause. Sie gaben mir bis zum nächsten Morgen Bedenkzeit, sie würden mich sonst fertig machen. Als man mich in den Keller zurückbrachte, bekam ich von Köpping einen Tritt in den Arsch, daß ich kopfüber die Treppe runter stürzte. Um 1 Uhr ungefähr in dieser Nacht kamen die Gestapo-Hengste zurück mit noch anderen Gestapo-Leuten, zogen mich aus und guckten sich meinen Körper an, wie er aussah und lachten sich kaputt und lachten und nahmen dann einen Strick, befestigten ihn um meinen Hals und draußen an der Tür … Dann hat man mich nochmal verprügelt, eine Tragbahre ohne Decke war mein Nachtlager … Am nächsten Tag wiederholte sich alles … Ich konnte kaum noch sprechen, alles war geschwollen … „Lebend kommst du hier nicht wieder raus, wir hängen dich auf“ … Mir war es so scheißegal … Dann machte man mir den Vorschlag, ich solle mich erschießen, legte einen Revolver auf den Hocker und machte die Tür zu. Oben ließ man die spärliche Beleuchtung brennen, damit man von außen alles beobachten konnte … Bemerken möchte ich noch, daß ich mich bei den Mißhandlungen bepißt und beschissen hatte.“
Quelle: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 1945, Autorin: Susanne Engelbertz, Herausgegeben vom Studienkreis: Deutscher Widerstand, Seite 62
9 „Die rote Tabakarbeiterin“ (Fa. Tabak Vogelsang); „Das rote Wasserfaß“ (Wäscherei Hayungs); „Der Atlas-Prolet“ (Atlas-Werke); „De rode Stau-Haken“ (Hafenbetriebe); „Der Werftprolet“ (AG Weser); „Die Karstadt-Fackel“ (Kaufhaus Karstadt).
Quelle: Herbert Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 3, Hamburg 1983, S. 409
10 Vgl. hierzu: „Reichskristallnacht“ in Bremen, Vorgeschichte, Hergang und gerichtliche Bewältigung des Pogroms vom 9./10. November 1938 / Wilhelm Lührs; Inge Marssolek; Hartmut Müller. Der Senator für Justiz und Verfassung d. Freien Hansestadt Bremen. Bremen: Steintor, 1988, ISBN 3-926028-40-8, Seite 44
11 ebda., Seite 48
Veröffentlicht am 27. Mai 2010 und aktualisiert am 29. Februar 2024
Ein Hinweis zu “„Rotes Haus“ als Folterstätte der SA”