„Beihilfe zum Mord“ – Die Anzeige gegen Wilhelm Mündtrath

Wilhelm-Mündtrath_Staatsarchiv-Bremen
Julius Dickel (links, Quelle: Privatbesitz)
27. April 1961
Friedrich-Ebert-Str. 193, Bremen-Neustadt

Am 27. April 1961 erschien gegen 17.15 Uhr der 35-jährige Julius Dickel im Dienstzimmer des Bremer Staatsanwalts Dr. Höffler. Dickel wolle Angaben über den Kriminalsekretär Wilhelm Mündtrath machen, „die sich auf dessen frühere Tätigkeit als sogn. Zigeunersachbearbeiter bezögen.“ Zu diesem Zeitpunkt war Mündtrath, mittlerweile zum Kriminalobermeister befördert, bereits seit dem 31. März 1958 im Ruhestand.

Einen Tag später erschien Julius Dickel erneut im Polizeihaus und machte eine Aussage, in der er Mündtrath vorwarf, „uns damals wissentlich falsche Auskünfte über unser Reiseziel gegeben zu haben.“ Julius Dickel meinte die Deportation im März 1943 in das so genannte „Zigeunerfamilienlager“ Auschwitz-Birkenau. Mündtrath habe ihnen „mehrfach erklärt, dass wir in Polen angesiedelt werden sollten.“

Am 16. Mai 1961 wurde daraufhin eine Strafanzeige wegen „Verdachts der Beihilfe zum Mord“ erstattet und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. In den folgenden Monaten sagten mehrere Sinti und Roma aus, die die NS-Verfolgung überlebt hatten, unter ihnen Anton Schmidt , Rudolf Franz/Schmidt, Gustav Mechau und Täter wie der Vorgesetzte von Mündtrath Carl Krämer und natürlich Mündtrath selber.

Die Ermittlungen konzentrierten sich auf die Frage, ob Mündtrath gewusst haben konnte, dass die nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma „in Auschwitz vernichtet werden sollten.“ Mündtrath bestritt dies. „Das Gegenteil konnte nicht festgestellt werden“, erklärte die Staatsanwaltschaft. Und weiter: „Die Aktion war seinerzeit als ‚Umsiedlungsaktion‘ nach Polen getarnt. Ihre Durchführung ließ weder für die Opfer noch für mit der Durchführung der Aktion betraute Polizeibeamte – noch dazu in nachgeordneten Stellungen – erkennen, dass unschuldige Menschen ermordet werden sollten.“ Daher stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren im Januar 1962 ein.

Hiergegen legte Julius Dickel Beschwerde ein. In einem handschriftlichen Schreiben vom 9. März 1962 schilderte er ein Gespräch zwischen seinem Schwager und Mündtrath, das er mitgehört hatte: „Bei unserer Ankunft auf der Judenrampe in Auschwitz, sagte mein Schwager Herr Stein: ‚Mündtrath, wo führen sie uns denn hin. Dies ist ja ein Konzentrationslager.‘ Darauf antwortete Mündtrath: ‚Ja, Herr Stein, das ist ein Konzentrationslager. Aber ihr bleibt hier nicht lange.‘“ Aber es sei „später sehr deutlich geworden, was Herr Mündtrath hiermit meinte.“

Aber auch nach weiteren Ermittlungen verneinte die Staatsanwaltschaft, dass Mündtrath gewusst hat, dass die „nach Auschwitz hinverlegten Menschen einmal getötet werden würden“ und stellte das Verfahren endgültig am 28. September 1962 ein.

Dr. Hans Hesse

Literatur:
Hesse, Hans, Wilhelm Mündtrath – Kriminalsekretär des Bremer “Zigeunerdezernats”, in: Danckwortt, Barbara/Querg, Thorsten/Schöningh, Claudia (Hg.), Historische Rassismusforschung. Ideologen-Täter-Opfer. Mit einer Einleitung von Wolfgang Wippermann, Hamburg 1995, S. 246–272.

Quellen:
Staatsarchiv Bremen 4, 89/3 – 710, Ermittlungsverfahren gegen Wilhelm Mündtrath.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 3. Mai 2023

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