Bremer Gestapo exekutiert Zwangsarbeiter in Friesland

Am Wall 199, Bremen-Mitte

Der erste Gestapo-Mord an einem polnischen Zwangsarbeiter im Kreis Friesland ereignete sich Ende Februar 1944 in Sillenstede, damals Ortsteil der Gemeinde Kniphausen. Es handelte sich bei dem Polen um einen jungen Mann namens Leszek Adamiak, geboren am 15. Mai 1925 im polnischen Kalisz (damals im „Reichsgau Wartheland“, deutsche Bezeichnung: Kalisch). Er war katholisch, seine Eltern Franciszek und Helena Adamiak wohnten in der Feldstr. 1 in Kalisz. Wann Adamiak aus seiner Heimat verschleppt wurde, ist unbekannt. Sicher ist: Anfang April 1943, er war erst 17 Jahre alt, wurde er dem Landwirt Heino Gerriets in Purkswarfe bei Sillenstede (damals Gemeinde Kniphausen) für die Landarbeit zugewiesen. Die Zuteilungen solcher Zwangsarbeiter erfolgte – auf Anforderung der örtlichen NS-Ortsbauernschaft – unter Regie des für Friesland zuständigen Arbeitsamtes Wilhelmshaven. Im Dezember 1943 verhaftete die Geheime Staatspolizei den Polen in Sillenstede.

Pastor Carl Woebcken (1878 – 1965) berichtete 1946 in seiner Chronik der Gemeinde Kniphausen sowie in der Sillensteder Kirchenchronik: Der junge Pole habe seinen deutschen „Brotherrn“ Gerriets mit dem Stuhl geschlagen, andernorts heißt es, er wäre „widersetzlich“ gewesen und hätte ihn mit dem Fuß in den Leib getreten. Nachdem dieser Vorfall der Gestapo bekannt wurde, habe diese mit Hilfe der Gendarmerie den Polen festgenommen und in Bremen in Gewahrsam genommen. Ob Adamiak vorübergehend noch im Gestapo-Gefängnis in Wilhelmshaven in Haft saß, ist unklar.

Gängige Praxis bei solchen Fällen war, dass allein die Gestapo über das weitere Schicksal entschied, irgendein justizförmiges Verfahren gab es für die Polen nicht. In der Regel wurde nach oberflächlicher Untersuchung des „Falles“ das Strafmaß nach „staatspolizeilichem Ermessen“ festgelegt. Im Fall Adamiak beantragte die zuständige Staatspolizeistelle beim Reichssicherhauptamt Berlin – der Gestapo-Zentrale – die „Sonderbehandlung“ des Polen. In der Woebcken-Chronik wird erwähnt, dass damals auch der NSDAP-Kreisleiter für Friesland, der vorherige Kaufmann Hans Flügel aus Varel, massiv auf die Verhängung dieser exemplarischen Strafe gedrängt haben soll. Das Reichssicherheitshauptamt in Berlin folgte dem Vorschlag der Staatspolizeistelle und ordnete die Hinrichtung Adamiaks an.

Der Mord geschah am Dienstag, den 29. Februar 1944. Gegen Mittag fuhr in Sillenstede ein Lastkraftwagen mit Polizisten bzw. Gestapo-Beamten aus Bremen vor, die Adamiak und einen provisorischen Galgen mit sich führten. Der Galgen wurde aber nicht auf dem Gerriets-Hof in Purkswarfe, dem „Tatort“, sondern auf dem Hof von Landwirt Hermann Eden in Warfreihe aufgestellt. Bei solchen öffentlichen Exekutionen polnischer Zwangsarbeiter war es üblich, die in der Umgebung beschäftigten Landsleute des Opfers zum Zuschauen zu zwingen. Dies sollte der „Abschreckung“ dienen und deutlich machen, was jedem Polen bei tatsächlichen oder angeblichen gravierenden Verstößen gegen die Regeln in Nazi-Deutschland drohte.

Adamiak wurde im Beisein seiner Landsleute erhängt, auch Mitglieder der Sillensteder „Landwacht“ (Hilfspolizisten) und örtliche Parteifunktionäre wohnten dem grausamen Schauspiel bei. Die Erhängung hätten zwei dazu abkommandierte „Verbrecher“ vollzogen, berichtet Woebcken weiter. Auch diese Praxis war gängig, die zu solcher Henkersarbeit gezwungenen Gestapo-Mithäftlinge erhielten anschließend Zigaretten und Extraportionen Verpflegung. Nach der Hinrichtung wurde durch einen anwesenden Arzt um 12.25 Uhr der Tod des 18jährigen festgestellt, die Leiche von Adamiak von den Gestapo-Beamten in einen mitgebrachten Sarg gelegt und auf dem LKW wieder mitgenommen. Das damals für Sillenstede zuständige Standesamt Sengwarden fertigte eine Sterbeurkunde für Adamiak aus (Nr. 7/1944).

Nach vollzogener Hinrichtung des Polen begaben sich die Sillensteder Landwachtleute und Parteigrößen nach Sengwarden und hielten dort ein Gelage ab, auf dem es zur „Verarbeitung“ des Geschehens reichlich Schnaps gab. Letzteres soll damals bei manchem Zeugen durchaus Empörung ausgelöst haben, berichtet der Chronist Woebcken weiter.

Nach Kriegsende fanden in Sillenstede Ermittlungen über den Vorfall statt, zunächst 1945 durch polnische Besatzungssoldaten, 1948 auch durch die Kripo aus Oldenburg. Bei der Kreisverwaltung in Friesland musste man 1949 im Rahmen alliierter Suchaktionen nach „vermissten Ausländern“ klären, wohin die Leiche von Adamiak gebracht und das Opfer bestattet worden war. Diese Fragen konnte das Kreisamt damals aber nicht mehr beantworten. Sowohl die Bauern Gerriets und Eden wie auch alle anderen befragten Sillensteder Einwohner gaben an, darüber keine Kenntnis zu besitzen.

Aus Unterlagen im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Arolsen (ITS) lässt sich heute rekonstruieren, dass die Leiche Adamiaks von der Gestapo auf dem LKW nach Bremen mitgenommen, dort eingeäschert und die Urne mit der Bezeichnung „Asche 40209“ zunächst auf dem Friedhof in Bremen-Riensberg beigesetzt wurde. Nach dem Krieg mussten Gräber von ausländischen Zwangsarbeitern – geschützt durch das deutsche Gräbergesetz – öffentlich erhalten und gepflegt werden und erhielten ewiges Ruherecht. 1956 wurde die Urne von Riensberg auf den Friedhof Bremen-Osterholz umgebettet, die Urne ruht dort im sogenannten „KZ-Hügel“ im Feld K. Auf einer Gedenktafel findet sich dort sein Name.

Friedhof Bremen-Osterholz: Auf der rechten Tafel steht der Name von Leszek Adamiak, der 1944 von der Gestapo bei Sillenstede ermordet wurde. (Foto H. Frerichs)
Friedhof Bremen-Osterholz: Auf der rechten Tafel
steht der Name von Leszek Adamiak, der 1944 von der
Gestapo bei Sillenstede ermordet wurde.
(Foto H. Frerichs)

Auszug aus: Die Gestapomorde 1944 in Sillenstede und Altgarmssiel

von Holger Frerichs, mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

Ein Hinweis zu “Bremer Gestapo exekutiert Zwangsarbeiter in Friesland”

  1. Ewald Eden sagt:

    Zitat:
    >>> Das damals für Sillenstede zuständige Standesamt Sengwarden fertigte eine Sterbeurkunde für Adamiak aus (Nr. 7/1944).<<<

    Hier ist die Ausführung des Schreibers nachweislich NICHT korrekt. Es gab zum Zeitpunkt des feigen Mordes an dem jungen Mann aus Polen auf der Hofstelle des Hermann Eden in Warfreihe Nr. 4 keine Gemeinde Sengwarden – ergo auch kein für den Tatort Sillenstede zuständiges Standesamt Sengwarden. Die Ortschaft Sillenstede wie auch die Ortschaft Sengwarden waren der Gemeinde Kniphausen mit Verwaltungssitz in der Ortschaft Fedderwarden zugehörig.

    1. Holger Frerichs sagt:

      Ein Hinweis im Kommentar ist korrekt und gibt Anlass zu einer ergänzenden Information:

      Zum Tatzeitpunkt 1944 gab es im Landkreis Friesland noch die Gemeinde Kniphausen, zuständig gewesen wäre dessen Standesamt in Fedderwarden (Gemeindesitz).
      Da die Sterbeurkunde aber erst 1949 – im Zusammenhang mit den alliierten Suchaktionen nach „vermissten Ausländern“ – erstellt wurde, und die Gemeinde Kniphausen nach einer Gemeindereform nun nicht mehr existierte, war jetzt das Standesamt SENGWARDEN zuständig.
      Die Sterbeurkunde ist überliefert u.a. im Archiv des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen, Signatur 2.2.2.2 / 76693045.

      Die Urkunde enthält folgende Informationen (Abschrift):

      Sterbeurkunde
      Standesamt Sengwarden früher Kniphausen Nr. 7/1944
      (Es folgen die Angaben zur Person, Todeszeitpunkt, Sterbeort, Eltern, Familienstand).
      SENGWARDEN, den 25. März 1949.
      Der Standesbeamte. Unterschrift.
      Dienstsiegel und Wappen STANDESAMT IN SENGWARDEN.

      Insofern sind natürlich Nummer der Sterbeurkunde und ausstellende Behörde im Beitrag zu den Gestapo-Morden KORREKT genannt, als Ergänzung wäre aber sicherlich der Hinweis auf die erst 1949 erfolgte Beurkundung hilfreich gewesen, um bei Ortskundigen – wie Herrn Eden – keine entsprechende berechtigte Verwirrung hervorzurufen.

      Mit freundlichen Grüßen

      Holger Frerichs, Varel

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