Die Zerstörung der ländlichen Idylle beginnt: Das Wifo-Tanklager

Postkarte der Bertholdshöhe, Datum unbekannt; Sie war Teil der ab 1938 durch die Wifo genutzten Fläche gewesen; Quelle (alle Fotos): Archiv des Heimatvereins Farge-Rekum
Baustelle der Wifo-Tanklager
Das Wifo-Tanklager, aus Gründen der Tarnung wurden die Tanks nach Fertigstellung zugeschüttet
Die Wifo-Siedlung in Blumenthal
1. Oktober 1938
Betonstr., Bremen-Farge

Im äußersten Norden Bremens entstand ab Mitte der 1930er Jahre eine Rüstungslandschaft ungeahnten Ausmaßes. Die Rekumer Heide – also das Gebiet zwischen Schwanewede im Osten, Blumenthal im Süden, Farge-Rekum im Westen und Neuenkirchen im Norden – war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine sehr ländlich geprägte Region gewesen. Eine erste und langsam voranschreitende Industrialisierung hatte erst Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Die Landwirtschaft dominierte, in der Weser betrieb man etwas Fischerei und den Bremern und Bremerinnen diente das ländliche Idyll vornehmlich zur Naherholung. Dieses Idyll jedoch sollte nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein schnelles Ende finden. Die Tanklager der Wifo und der Kriegsmarine und später das Rüstungsgroßprojekt Bunker „Valentin“ zerstörten den Charakter der Region nachhaltig.[1]

Ein erstes dieser Rüstungsprojekte trug den Tarnnamen „Wasserberg“. Ab 1937 plante die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (Wifo) die Errichtung eines großen unterirdischen Treibstofflagers – Baubeginn war 1938. Die Wifo war eine 1934 in Berlin durch das Reichswirtschaftsministerium gegründete Tarnfirma, welche für die Beschaffung, Lagerung und Herstellung von kriegswichtigen Rohstoffen zuständig war und damit die Logistik der Wehrmacht sicherstellen sollte. Das Wifo-Tanklager und später auch das Tanklager der Kriegsmarine dienten also dem gleichen Zweck: Hier sollte der massenhaft benötigte Treibstoff für den geplanten Angriffskrieg eingelagert werden.

Die Hauptverantwortliche Baufirma war die Berliner Gottlieb Tesch GmbH, überdies waren zahlreiche weitere Firmen eingesetzt. Neben bekannten und überregional agierenden Unternehmen wie den beiden Elektrokonzernen AEG und Siemens-Schuckert AG, beteiligten sich auch mehrere Bremer Firmen, wie beispielsweise das Bauunternehmen August Reiners.

Die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf Rüstung generierte derart viele Arbeitsplätze, dass im Deutschen Reich ab 1937 Vollbeschäftigung, spätestens ab 1939 ein Arbeitskräftemangel, herrschte.[2] Auch hier in Bremen-Farge sahen sich die Verantwortlichen seit Beginn der Bauarbeiten mit dem Problem knapper Arbeitskräfte konfrontiert. Der Beginn des Krieges verschärfte das Problem. Gelöst werden sollte es von Anfang an und immer auf die gleiche Weise: ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen sollten den Mangel ausgleichen.

Schon ab 1938 warb die Wifo tschechische Arbeitskräfte aus dem eben erst besetzten Sudentenland an. Mit zunehmender Kriegsdauer wurde aus der anfangs noch „freiwilligen“ Verpflichtung zum Arbeitseinsatz in Deutschland, sukzessive mehr Zwang, bis schließlich Millionen von Menschen schlicht als Arbeitssklaven nach Deutschland verschleppt wurden.

Die ausländischen Arbeitskräfte, die am Bau des Wifo-Tanklagers eingesetzt waren, waren im 1938 eingerichteten Lager Tesch untergebracht. Bewacht wurde dieses durch SS-Wachmannschaften. Das nach der Baufirma Gottlieb Tesch benannte Lager war das erste in der Region. Zum Ende des Krieges ließen sich letztlich, wie in einem Brennglas die verschiedenen Formen und Funktionen nationalsozialistischer Zwangsarbeit und Zwangslager (u.a. Konzentrationsaußenlager, unterschiedliche Lager für zivile Zwangsarbeiter*innen, Arbeitserziehungslager) in der Region wiederfinden.

Ab 1940 setzte die Wifo sogenannte Westarbeiter aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich beim Bau ein. Auf den Baustellen und in den Lagern entwickelte sich schon früh ein Klima der Gewalt. Besonders wichtig für die Entwicklung der Gewaltverhältnisse in der Region war es, dass schon im Mai 1940 durch die Bremer Gestapo in direkter Nachbarschaft zu den Tanklager-Projekten ein Arbeitserziehungslager eingerichtet wurde, in dem die Häftlinge unter besonderer Brutalität zur Zwangsarbeit angetrieben wurden. Wohl ab Ende Oktober 1941 kamen schätzungsweise mehrere hundert sowjetische Kriegsgefangene nach Farge. Sie mussten mehrheitlich beim Bau des Wifo-Tanklagers Zwangsarbeit leisten, ein kleinerer Teil wurde auch auf der Baustelle des Marine-Tanklagers eingesetzt. Über die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen lässt sich größtenteils nur spekulieren. Die Quellenlage ist äußerst dürftig, so liegt bisher kein einziger Erfahrungsbericht eines ehemaligen Kriegsgefangenen vor. Ihre Lebensumstände müssen allerdings desaströs gewesen sein – geprägt von unzureichender Ernährung, schlechter hygienischer Zustände, kaum medizinischer Versorgung, harter Arbeit und Gewalt. In nur drei Monaten – Anfang November 1941 bis Ende Januar 1942 – starben 154 sowjetische Kriegsgefangene. Sie wurden auf dem Wifo-Gelände in Massengräbern verscharrt.

Die Anzahl der beim Bau des Wifo-Tanklagers eingesetzten Arbeitskräfte lässt sich nur schätzen. Der Historiker Marc Buggeln geht von einer Zahl zwischen 1.500 und 2.000 aus, davon ca. ein Drittel ausländische Arbeitskräfte.

Das Tanklager wurde Ende 1943 fertiggestellt.[3] Das erste Öl wurde in Farge allerdings schon deutlich früher eingelagert. Laut Wifo erfolgte die Inbetriebnahme des Lagers schon am 16. August 1940. Das Tanklager war indes im Maximalfall nur zu 3% gefüllt, also nahezu leer. Einfacher Grund: Es gab schlicht kein Öl zum Einlagern, da es stets an den Fronten des Krieges benötigt wurde.

Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass riesige Mengen an Geld, Material und (teils erzwungene) Arbeitskraft in das Tanklager gesteckt wurden, ohne dass das Lager den ihm zugedachten Zweck für den deutschen Krieg erfüllte.

Am 27. März 1945 trafen zwei 10t Bomben der Royal Air Force den Bunker „Valentin“. Drei Tage später griff die US-Air-Force an. Der zweite Angriff diente allerdings nicht mehr dazu, den Bunker zu zerstören, sondern vielmehr die Strukturen im Umfeld. Hierbei wurde auch das Wifo-Tanklager attackiert. Der reale Schaden hielt sich zwar in Grenzen, allerdings gingen die getroffenen Tanks in Flammen auf, was zu einem weithin sichtbaren Feuer führte.

Da das Tanklager fertiggestellt worden war, nahmen es die amerikanischen Besatzungstruppen schnell in Benutzung (Oktober 1945). Das Lager war das größte Tanklager der US-Truppen in Norddeutschland. Während der Berlin-Blockade (24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949) stammte der Großteil des Kraftstoffbedarfs der Stadt aus dem Bremer Lager.

Ab 1957 betrieb die Bundeswehr das Tanklager. Es war über eine Pipeline direkt an das mitteleuropäische NATO-Pipeline-Netz angebunden. Am 31. Mai 2013 gab die Bundeswehr das Gelände auf. Seit März 2015 befindet sich das Tanklager in der sogenannten Stilllegungsphase. Anlagen werden zurückgebaut und die Gelände von Schadstoffen dekontaminiert. Die jahrzehntelange Nutzung des Tanklagers hat zu erheblichen Umweltschäden in der Region geführt, die bis heute in ihrem Ausmaß noch nicht final eingeordnet werden können.

 

[1] Wenn nicht anders angegeben vgl. Buggeln, Marc: Der Bunker „Valentin“: Marinerüstung, Zwangsarbeit und Erinnerung, Bremen 2016.

[2] Zur Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in den 1930er Jahren siehe:  https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/arbeitslose-1933-1939, (Stand: 10.1.2023).

[3] „Die fertige Anlage umfasste fünfzehn Behälterblocks zu jeweils fünf liegenden 50m langen Stahlzylindern mit 10m Durchmesser und 4.000 Kubikmeter Fassungsvermögen. Die Tanks umschloss massiver Beton, der zusätzlich mit vier bis sechs Meter Erde überdeckt wurde. Dazu kamen ein umfangreiches Rohrleitungsnetz mit Pumpstationen, eine Feuerlöschanlage und eine eigene Stromversorgung, weitere Gebäude für Verwaltung, Betrieb und Belegschaft und zwei Verladebahnhöfe. Das Treibstofflager wurde ans Eisenbahnnetz angeschlossen. An der Weser ließ die Wifo eine Öllöschanlage errichten, von der zwei unterirdische Rohrleitungen ins 3 Km entfernte Lager führten. Dies war von besonderer Bedeutung, weil der Großteil des Kraftstofftransportes auf dem Wasserweg durch Binnenschiffe, vor allem sogenannte Ölleichter, abgefertigt wurde. […] Neben diesen technischen Anlagen errichtete die Wifo für ihre Mitarbeiter in Blumenthal eine größere Siedlung mit roten Klinkerhäusern, die noch heute im Volksmund „Wifo-Siedlung“ heißt. Die in der Siedlung gelegene Kneipe nennt sich nach wie vor „Wifo-Grund“.“, in: Buggeln: Der Bunker „Valentin“, 2016, S.18.

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 10. Januar 2024

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