Der Bau von Behelfsheimen durch weibliche KZ-Häftlingen

Bremen, Mai '45, Neustadt, Stephaniviertel, westliche Vorstadt, Volkshaus (Staatsarchiv Bremen)
Bremen, Mai '45, Neustadt, Stephaniviertel, westliche Vorstadt, Volkshaus
Blick auf die Siedlung. Stand 1946. Quelle: Hochbauamt Bremen, Fotoarchiv SKB-Bremen
Siedlung Rablinghausen 1946, Quelle: Hochbauamt Bremen, Fotoarchiv SKB-Bremen
Das Mahnmal im Ortsteil Stuhr-Obernheide. Stand 2020. Quelle: Hans-W. Ellerbrock
Das Mahnmal im Ortsteil Stuhr-Obernheide. Stand 2020. Quelle: Hans-W. Ellerbrock
15. August 1944
Stavenhagener Weg/Teterower Weg, Bremen-Rablinghausen

Seit Kriegsbeginn waren in Bremen ca. 65.000 Wohnungen durch Luftangriffe zerstört worden. Damit wurden ca. 250.000 Bremer obdachlos. Es erfolgten erste Notunterbringungen in Schulen, Turnhallen und Gasthöfen. Eine große Zahl Wohnungsloser wurde in umliegende Landgemeinden evakuiert und kam unter anderem bei Bauern unter. Kinder wurden an sicheren Orten in ganz Deutschland untergebracht.

Die Flächenbombardements (Area Bombing) waren die Antwort der Alliierten auf die ständigen Luftangriffe auf Städte wie Coventry, London oder Liverpool, aber auch generell gegen die menschenverachtende Eroberungs- und Vernichtungsfeldzüge der Deutschen Wehrmacht gerichtet.

Im Zuge der Steigerung der Rüstungsproduktion unter der Parole „Totaler Krieg“ versuchte die Reichsregierung ab 1943 für die ausgebombten Rüstungsarbeiter Ersatzwohnraum zu beschaffen. Nachdem der Bau von 16-Familien-Baracken unter der Bezeichnung Kriegswohnungen wegen Material- und Facharbeitermangel nur geringen Erfolg brachte, wurde die Aktion“ Behelfsheime allerorts“ unter der Leitung des Wohnungshilfswerks in Leben gerufen. In diesem Zusammenhang entwickelte man im Hause der Bremer Bausenators einen Plan zur Unterbringung von obdachlosen Hafenarbeitern. Deren Arbeit wurde als besonders kriegswichtig eingestuft, weil Sie u. a. für den Umschlag von U-Boot-Sektionen für den neu entwickelten Typ XXI für den Zusammenbau auf Bremer Werften benötigt wurden.

Da, wie reichsweit, auch in Bremen keine zusätzlichen Arbeitskräfte freigemacht werden konnten, beantragte die Senatsverwaltung die Sendung von KZ-Häftlingen bei der SS-Führung. Im August 1944 werden 500 jüdische Frauen aus Ungarn[1]  und 300 aus Polen[2] in Eisenbahnwaggons nach Bremen verschleppt. Sie wurden zuerst in einem ehemaligen Pferdestall der Hindenburg-Kaserne in Bremen-Huckelriede mit Strohlager untergebracht und erhielten lediglich eine wässrige Kohlsuppe. Nach einem Bombenangriff am 26. Sept. 1944 auf das  Kasernengelände brachte man sie nach Stuhr-Obernheide in ein ehemaliges Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes. Zu ihren Aufgaben gehörten die Trümmerräumung, das Herstellen der Fertigteile für die Behelfsheime in Rablinghausen und der anschließende Aufbau der Häuser. Um zu den Einsatzorten zu gelangen wurden die Frauen anfangs mit der Eisenbahn, später, als ein Teil der Gleisanlagen beschädigt war, mit LKW‘s transportiert. Auf Grund von Kraftstoffmangel mussten die Häftlinge später per Fußmarsch die Wegstrecke von ca. 15 km zurücklegen. Bei einer täglichen Arbeitszeit von bis zu 12 Stunden und der mehrstündigen Marschdauer kann man sich vorstellen, in welchem erbärmlichen Gesundheitszustand die Zwangsarbeiterinnen waren. Zumal die magerere Kost nur einen geringen Prozentsatz dessen an Nährstoff enthielt, was deutschen Schwerstarbeitern zugeteilt wurde.

50 der Frauen arbeiteten bei der Baufirmen Lüning in Bremen-Hemelingen und 80 bei Rodieck in Bremen-Uphusen. Anfangs gelangten Sie per LKW-Transport zur Arbeitsstelle, ab Februar 1945 war ein Barackenlager auf dem Firmengelände zur Unterbringung fertig. Ihre Aufgabe bestand darin, sog. Leichtbeton-Elemente mit Hilfe von Holzformen herzustellen. Die fertigen Ständer, Wandplatten, Trauffetten, Dachstuhlelemente und Dachplatten wurden zur Baustelle in Rablinghausen transportiert und von den übrigen Häftlingen zusammengefügt, wenn diese nicht gerade wieder zum Trümmerbeseitigen eingeteilt waren. Fertiggestellt und später auch bezogen wurden sie erst 1945 und in den darauf folgenden Jahren, insgesamt 15 Kleinbauten. Dieses kleine Wohngebiet liegt zwischen Teterower Weg und Stavenhagener  Weg.

Am 04. April 1945 wurde das Lager in Obernheide auf Befehl der Wehrmachtsleitung kurzfristig aufgelöst. Die Zeit der sog. Todesmärsche in Deutschland begann. Das bedeutete für die geschwächten Frauen teils 30 km Fußmarsch pro Tag. Letztendlich brachte man sie mit Viehwaggons in das Sammellager Bergen-Belsen. Nach unbeschreiblichen Tagen der Qual, mit schweren Krankheiten und fehlender Ernährung wurde das Lager dann am 15. April d.J. von britischen Soldaten befreit. Schon seit der Ankunft im KZ verliert sich die Spur der jungen Frauen, da auf Grund der chaotischen Zustände bis zu ihrer Freilassung keine Registrierung stattfand.

Im April 1985 besucht eine Gruppe von Frauen ihren ehemaligen Leidensort in Stuhr. Dies wurde ermöglicht durch die private Förderung einiger Stuhrer Bürgerinnen und Bürger und anschließende Einladungen durch den Stuhrer Gemeinderat und den Bremer Senat.

Zwei Jahre später schrieb die Gemeinde Stuhr einen Wettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmals aus. Den ersten Preis erhielt der Entwurf der Braunschweiger Bildhauerin Wittmunde Malik, der dann auch im August 1988 realisiert wurde. Eine Ansammlung großer Steinquader lässt das Leiden der jungen Frauen an diesem Ort vor langer Zeit nachempfinden. Auf vielen Steinplatten, verteilt um die schweren Blöcke, sind die Namen der Häftlinge zu lesen. Zur Einweihung am 30. August 1988 kam wieder eine Gruppe von Überlebenden aus Ungarn und Israel. Jährlich veranstaltet eine Initiativgruppe vor einen Gedenkgang vom Bahnhof Stuhr zum ehemaligen Lager-Standort um an die Leiden der Häftlingsfrauen zu erinnern.[3]

Autor: Hans-W. Ellerbrock, Hude

[1] Aus dem Ghetto Lodz, selektiert in Auschwitz-Birkenau.
[2] Ebenfalls aus Auschwitz, als arbeitsfähig selektiert.
[3] Der geschilderte Leidensweg der jüdischen Frauen basiert auf: Müller, Hartmut: Wie soll ich je vergessen – KZ-Außenlager Obernheide. Bremen 2020

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 15. Mai 2023

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