Die „Aktion Gewitter“ in Bremen

Fernschreiben (Seite 1) mit dem Betreff „Aktion Gitter“ vom 17. August 1944: RFSS [Reichsführer SS] hat befohlen, alle frueheren Reichs und Landtagsabgeordneten sowie Stadtverordneten der KPD und SPD im Reich festzunehmen. Gleichgueltig ist, ob diesen im Augenblick etwas nachgewiesen ist oder nicht.“ StAB 5,4 – 51
Fernschreiben (Seite 2) StAB 5,4-51
17. August 1944
Am Wall 199, Bremen-Zentrum

Während der „Aktion Gewitter“ (auch „Aktion Gitter“ oder „Aktion Himmler“ genannt) wurden im August 1944 im gesamten Reichsgebiet ehemalige Mandatsträger:innen und Mitglieder von Parteien der Weimarer Republik verhaftet. Die Anweisung zur „Aktion“ erhielten die Gestapostellen aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, das den Befehl des Reichsführers SS (RFSS) Heinrich Himmler bekanntgab. Die Verhaftungswelle richtete sich im Besonderen gegen Sozialdemokrat:innen und Kommunist:innen. Als Reaktion auf den Umsturzversuch am 20. Juli 1944 scheint die „Aktion“ eine Präventivmaßnahme gewesen zu sein, die im Anschluss an das Attentat nicht nur die unmittelbar Beteiligten in den Blick nahm. Die Verhaftungswelle sollte – auch aufgrund der sich rapide verschlechternden militärischen Lage – einen erneuten Zusammenschluss der politischen Opposition unmöglich machen.

Für Bremen ist der Ablauf der „Aktion Gewitter“ anhand von überlieferten Fernschreiben und Verhaftungslisten vergleichsweise gut dokumentiert (StAB 5,4-51). Am 17. August 1944 ging in der Staatspolizeileitstelle Bremen ein Schreiben mit dem Betreff „Aktion Gitter“ ein: RFSS „hat befohlen, alle frueheren Reichs und Landtagsabgeordneten sowie Stadtverordneten der KPD und SPD im Reich festzunehmen. Gleichgueltig ist, ob diesen im Augenblick etwas nachgewiesen ist oder nicht.“
Die „Aktion“ sollte am 22. August durchgeführt werden und umfasste frühere Partei- und Gewerkschaftssekretäre der SPD und KPD. Wenige Tage nach dem ersten Fernschreiben wurde der Befehl um die Verhaftung früherer Abgeordneter der Zentrums-Partei erweitert. Bis zum 5. September verlangte das RSHA eine Liste aller Verhafteten.

Die Festgenommenen, die von der Gestapo als „Aktions-Häftlinge“ bezeichnet wurden, sollten in „Schutzhaft“ genommen werden. Ein entsprechender Antrag sei an das RSHA zu stellen. Die Häftlinge seien dem nächsten Konzentrationslager der Stufe I[1] zuzuführen. Von der Stapoleitstelle Bremen wurde an die Außendienststellen der Befehl erteilt, die „Festgenommene[n] erst nach einigen Tagen dem KZ [zu] überstellen.“ Insgesamt verhaftete allein die Gestapo Bremen 206 Personen, wie aus einer Vollzugsmeldung an das RSHA vom 25. August 1944 hervorgeht.

Einige der Festgenommenen waren übergangsweise im Arbeitserziehungslager (AEL) Bremen-Farge inhaftiert, obwohl das AEL für den Vollzug von „Schutzhaft“ nicht vorgesehen war. Der Grund dafür war, abgesehen von der Nähe zu Bremen, die Bombardierung des Bremer Gestapo-Gefängnisses in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1944.

Bei den Verhafteten handelte es sich vorwiegend um ältere Menschen. Es wurde schnell deutlich, dass die „Aktion Gewitter“ auch deshalb in der Bevölkerung nicht nur Unverständnis, sondern auch Unwillen auslöste: „Es wird nicht verstanden, dass diese Leute den Staat noch bedrohen könnten, wenn ja, dann müsste es doch sehr schlecht um die Einheit des Staates bestellt sein, zumal die Festgenommenen teils eine kümmerliche Rolle im täglichen Leben spielten“, berichtete die Außendienststelle in Osnabrück an die Gestapoleitstelle in Bremen.

Nur elf Tage nach dem Befehl zur Verhaftung von ehemaligen SPD- und KPD-Abgeordneten, am 28. August 1944, meldete das RSHA, dass bei der „Aktion Gewitter“ „offenbar verschiedentlich recht formal vorgegangen“ sei. Weitere zwei Tage später ging mit einem Fernschreiben des Chefs der Sicherheitspolizei, Ernst Kaltenbrunner, die Nachricht ein, dass es „[weitere] Beschwerden aus allen Gauen“ gegeben habe und „dass die mit FS. v. 28.8. bereits angeordnete Nachpruefung schnellstens abgeschlossen wird […]. Nur die Entlassung von Reichstags- und Landtagsabgeordneten behalte ich mir vor“.

Die meisten Verhafteten wurden nach wenigen Wochen wieder entlassen. Die Zahl der Festgenommenen reduzierte sich in Bremen binnen weniger Tage von 206 auf 166. Laut einer Verhaftungsliste der Gestapo Bremen sollen am 5. September noch 23 Personen inhaftiert gewesen sein. Der Liste ist zu entnehmen, dass die meisten im Anschluss an die Haft in Bremen in das Konzentrationslager Neuengamme überstellt werden sollten.

Allein für die Konzentrationslager Neuengamme, Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen zählt Winfried Meyer reichsweit 4.900 politische Häftlinge der „Aktion Gewitter“. Aufgrund seiner Schätzung, dass nur etwa ein Fünftel der Festgenommenen an Lager überstellt wurden, setzt er die Gesamtzahl deutlich höher an. Die Zahl der Todesopfer ist nicht bekannt. Meyer geht von einer hohen Sterblichkeitsrate in der vergleichsweisen kurzen Haftzeit aus. Gründe dafür waren das oft hohe Alter der Verhafteten, die eskalierende Lage in den Konzentrationslagern, die Auflösung der Lager und die Todesmärsche am Ende des Krieges. Zwischen Spätsommer 1944 und Frühjahr 1945 starben in Neuengamme 80 Personen, die während der „Aktion Gewitter“ verhaftet wurden. Unter ihnen waren neun Personen, die von der Bremer Gestapo verhaftet wurden: Johann Gerdes Eilts, Heinrich Groos, Wilhelm Heidsiek, Heinrich Kloppers, Ferdinand Kobitzki, Heinrich Grube, Wilhelm Krökel, Hermann Schulz und Friedrich Szalinski.  Drei weitere der Verhafteten starben nach der Auflösung des KZ bei der Bombardierung der Schiffe Cap Arcona, Thielbek und Athen in der Lübecker Bucht: Hugo Henke, Wilhelm Mendrup und August Wille.

Die ungeordnete Durchführung der Verhaftungsaktion weist darauf hin, dass es sich nicht um einen lang geplanten Schlag gegen den politischen Widerstand im Reich gehandelt hat. Trotzdem zeigt die „Aktion“ mit aller Deutlichkeit das brutale Vorgehen des NS-Regimes gegenüber ihren politischen Feinden.

[1] „Die Führung des NS-Terrorapparates hatte Anfang Januar 1941 ‚der Persönlichkeit des Häftlings und dem Grad der Gefährdung für den Staat‘ entsprechend eine dreistufige Einteilung der Konzentrationslager vorgenommen. Danach galt die Stufe I für ‚alle wenig belasteten und unbedingt besserungsfähigen Schutzhäftlinge‘ sowie für Sonderfälle und Einzelhaft“. Röll: Sozialdemokraten im Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945, S. 172.

Quellen:
Eckardt, Luise: Die „Aktion Gewitter“ in Bremen im August 1944, in: Schöck-Quinteros, Eva; Rau, Simon (Hg.): Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen. Das Arbeitserziehungslager Bremen-Farge 1940–1945, Bremen 2020, S. 409–429.

Kissener, Michael: Die Aktion „Gewitter“, in: Becker, Manuel; Studt, Manuel (Hg.): Der Umgang des Dritten Reiches mit den Feinden des Regimes, Münster 2010, S. 185–197.

Meyer, Winfried: Aktion „Gewitter“. Menschenopfer für Macht du Mythos der Gestapo, in: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hg.): Häftlingsgesellschaft (Dachauer Hefte 21), Dachau 2005, S. 3–20.

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 17. Juni 2024

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