„Ellener Hof“ als Teil der berüchtigten Aktion T4

15. April 1935
Am Hallacker 125, Osterholz-Bremen

Im Ellener Hof sollten nach den vereinseigenen Statuten „sittlich verwahrloste Kinder, welche den Einflüssen einer verderblichen Umgebung unterliegen oder bereits in Strafanstalten eingesessen haben“ aufgenommen werden. Vorsteher des Heims war von 1928 bis 1957 das NSDAP-Mitglied Georg Rehse, ein gelernter Lehrer. Seine Frau Else geb. Fies hatte währenddessen als „Hausmutter“, gleichfalls eine zentrale Position im Heim.
Von ganz entscheidender Bedeutung war außerdem das Vorstandsmitglied Emil Warneken, der von 1917 bis 1976 dem Verein angehörte und in diesem verschiedene Funktionen übernahm. Er war überzeugter Nationalsozialist und NSDAP-Mitglied. Als Richter des Sondergerichts in Bremen verurteilte er den erst 17-jährigen polnischen Zwangsarbeiter Walerjan Wróbel für ein vergleichsweise geringes Vergehen zum Tode. Auf seine Kappe gehen weitere 48 Todesurteile beim Sondergericht.

Im April 1935 wurde die Erziehungsabteilung der Jugendarbeitsstätten GmbH in den Ellener Hof eingegliedert. Hier sollten die Jugendliche durch harte Arbeit, vor allem in der Landwirtschaft und im Garten, im nationalsozialistischen Sinne erzogen werden. Offensichtlich scheint dies aber auch damit zusammen gehangen zu haben, dass, vor allem in den späteren Kriegsjahren, der Ellener Hof kaum geeignetes erzieherisches Personal bekam. Später wurden die „schulentlassenen“ Jugendlichen sogar an Bauern in der Nachbarschaft als Helfer „ausgeliehen“ oder auf dem Osterholzer Friedhof als Arbeiter eingesetzt.

Jungen, die nach Meinung der Jugendfürsorge oder der Anstalt „verwahrlost“ waren oder bei denen diese Verwahrlosung nach Meinung der zuständigen Verantwortlichen drohte, wurden in auswärtige Anstalten, wie z. B. die Betheler Zweiganstalt Freistatt, überstellt.

Nach der vorherrschenden Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entwickelten die Nationalsozialisten mit tatkräftiger Unterstützung von „Wissenschaftler/innen“ und „Psychiater/innen“ Selektionskriterien, nach denen der „Wert bzw. Unwert“ der Kinder und Jugendlichen über deren individuelles Wohl gestellt wurde. In Folge dessen konnten sie zwangssterilisiert, ins Jugendkonzentrationslager abgeschoben oder in psychiatrische Einrichtungen verlegt werden. Dort wurden sie häufig ermordet, starben an Unterernährung oder Krankheiten.
Laut Untersuchung von Gerda Engelbracht* wurden mindestens 41 Jugendliche, die in Bremer Heimen lebten, zwischen 1934 und 1945 zwangsweise unfruchtbar gemacht. Dokumentiert ist, dass davon mindestens 3 Mädchen und 7 Jungen in Konzentrationslagern oder psychiatrischen Anstalten gewaltsam zu Tode gebracht wurden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die von diesen Willkürakten Betroffenen lange auf irgendwelche Entschädigungen warten. In vielen Fällen ist es nie zu einer Entschädigung gekommen, weil die Opfer entweder bereits verstorben waren oder ihnen das Antragsverfahren nicht bekannt war. Gerade die Opfer der Zwangssterilisation mussten viele Jahrzehnte auf eine Entschädigung warten, weil ihr Leid nicht gleichgesetzt wurde mit den Erlebnissen anderer Opfergruppen.

In Ellener Hof sollte „grundsätzlich alles Minderwertige und die nichtarischen Kinder“ untergebracht werden, also Kinder und Jugendliche, die von anderen Heimen abgelehnt und deshalb mit Zustimmung des Jugendamtes verlegt wurden. Das Zitat stammt aus der Verfügung des Bremer Jugendamtes, das die Zuständigkeit des St. Petri Waisenhauses und des Ellener Hofs regelte. Kinder und Jugendliche aus dem Ellener Hof durften grundsätzlich nicht Mitglied im Jungvolk oder in der Hitlerjugend werden. Schulunterricht bekamen sie kaum, weil das Lehrpersonal nicht vorhanden war.

Eine Besonderheit im Vergleich mit den anderen Bremer Fürsorgeeinrichtungen war die Tatsache, dass der Anstaltsleiter vom Ellener Hof Antragsteller gegenüber dem Erbgesundheitsgericht war. Er leitete damit das auf Grundlage des seit 1934 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Sterilisationsverfahren ein. In den anderen Anstalten übernahmen dies die Erziehungsberechtigten oder der zuständige Amtsarzt vom Gesundheitsamt. Betroffen waren vor allem solche Jugendlichen, die eine Hilfsschule besuchten oder von der Jugendfürsorge betreut wurden. Als Gründe für die Zwangssterilisation wurden vor allem „angeborener oder moralischer Schwachsinn“ angegeben. Häufig mischten sich in die Diagnostik willkürlich medizinische und soziale Komponenten. Dies galt insbesondere in Bezug auf das Sexualverhalten der Jugendlichen.

Noch gravierender war jedoch die Tatsache, dass der Ellener Hof als einzige Bremer Jugendfürsorgeanstalt organisatorisch in die sog. Aktion T4 einbezogen war. Hierbei wurden psychisch auffällige Kinder und Jugendliche in vom Reichsministerium des Inneren ausgesuchte Mordanstalten eingewiesen. Obwohl nicht nachgewiesen werden kann, dass der Ellener Hof Jugendliche in diese Anstalten überwiesen hat, starben drei ehemalige Bewohner in den Mordanstalten Hadamar und Meseritz-Obrawalde.

Quellen:

  • Gerda Engelbracht: „Denn ich bin unter das Jugenamt gekommen* – Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933 – 1945“ (Edition Falkenberg, 2018)
    * Zitat eines jugendlichen Briefschreibers
  • Gerda Engelbracht: „Der tödliche Schatten der Psychiatrie – Die Bremer Nervenklinik 1933 – 1945“ (Donat Verlag, 1996)
Veröffentlicht am und aktualisiert am 2. April 2022

Ein Hinweis zu “„Ellener Hof“ als Teil der berüchtigten Aktion T4”

  1. Waltraud Strobach - Sturm sagt:

    Der Inhalt ist offenbar gut recherchiert. Ich frage mich, warum die Leitung noch so lange nach Kriegsende dort gearbeitet hat.

  2. Waltraud Strobach - Sturm sagt:

    Vor dem Hintergrund dieser grausamen Geschichte ist es unfassbar, dass die Bremer Heimstiftung auf ihrer Website die Aufgabe der Institution damit beschreibt, dass „jungen Menschen in einer schwierigen Situation“ geholfen werden sollte. Das ist leugnerisch und geradezu höhnisch. Mich wundert es, dass das dort so stehen darf.

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