Gustav Mechau: „Ich will, dass die Wahrheit siegt.“

Fam. Mechau, Gustav links, Quelle: Günter Heuzeroth
Fam. Mechau, Gustav links, Quelle: Günter Heuzeroth
9. März 1943
Schwarzer Weg 26/26a, Bremer-Gröpelingen

Gustav Mechau wurde am 7. Mai 1916 in Berlin-Lichtenberg geboren. Es war der Sohn von Otto und Auguste Mechau, geb. Bamberger. Die Oldenburger Sinti-Familie wurde Opfer von Menschenversuchen in Auschwitz. Nur zwei Personen der 12 Familienmitglieder haben die NS-Verfolgung überlebt: Hugo und Gustav Mechau.

Gustav Mechau wurde 1937 zur Wehrmacht eingezogen. Bis 1941 blieb er Soldat. In diesem Jahr wurde er im Rang eines Unteroffiziers entlassen, weil er ein Sinto war. Im Mai 1940 heiratete er Henriette Hartlage. Bereits im März 1940 war ihr Sohn Willy geboren, der nur ein Jahr später starb. Seine Ehefrau zog nach Bremen zu ihrer Mutter Katharina Hartlage, geb. Trollmann, in die Stiftstraße 9 in Walle.
Als Gustav Mechau nach seiner Entlassung ebenfalls nach Bremen zog, wurde er von dem Leiter der „Dienststelle für Zigeunerfragen“, Kriminalsekretär Wilhelm Mündtrath, vorgeladen. Im Polizeihaus musste er sogleich zum Erkennungsdienst: „Es wurden von mir Fingerabdrücke gemacht, auch wurde ich fotografiert.“ Sodann verlangte Mündtrath vom ihm eine Unterschrift unter eine Anordnung, dass er Bremen nicht ohne Genehmigung verlassen dürfe. „Diese Unterschrift habe ich verweigert“, berichtete Gustav Mechau in einer Aussage im Entnazifizierungsverfahren gegen Wilhelm Mündtrath, „mit dem Bemerken, dass mein Vater Arier sei.“ Allerdings war seine Mutter eine Sintezza, so dass Gustav Mechau als „Zigeunermischling“ galt. Er schaltete den Rechtsanwalt Dr. Bellmer ein. Aber auch dies konnte nicht verhindern, dass Gustav Mechau die Anordnung unterschreiben musste. Einige Zeit später wurde er erneut von Mündtrath vorgeladen. Zusammen mit seiner Ehefrau und den zwei Kindern aus der ersten Ehe von Henriette Hartlage legte er Mündtrath Urkunden vor, die bewiesen, dass „meine Frau und ich sowie meine Kinder Arier seien. Mündtrath, dem ich diese Papiere vorlegte [Gustav Mechau legte ihm vermutlich Ahnentafeln seines Vaters und seiner Mutter vor, die bis ins Jahr 1641 bei seinem Vater und bis 1732 bei seiner Mutter zurückreichten], erklärte mir wörtlich: ‚Mit diesen Papieren kannst Du Dir den Arsch wischen‘. Danach forderte er mich auf, in seinem Dienstzimmer, in Gegenwart von zwei anderen Beamten und meiner Familie, einige Schritte hin- und herzugehen. Er sah mich dabei an und erklärte mir kurz und bündig, dass er mich als Zigeunermischling einstufe.“
Gustav Mechau bot Mündtrath des Weiteren an, so genannte „Ariernachweise“ auch für seine Schwiegereltern vorzulegen. Mündtrath habe dies jedoch mit der Begründung abgelehnt: „Das interessiert mich nicht, ich urteile danach, wie der Mensch äußerlich aussieht“.

Am 9. März 1943 „wurden ich, meine Frau, meine beiden Kinder im Alter von vier und sechs Jahren, und meine Schwiegermutter auf Mündtraths Anweisung verhaftet.“ Zunächst kamen sie zur Polizeiwache 18. Dort trafen im Verlauf des Vormittags weitere Sinti und Roma aus Gröpelingen ein. Zusammen wurden sie mit seinen Sonderwagen der Straßenbahn zum Schlachthof gefahren. Seine 67-jährige Schwiegermutter, Katharina Hartlage, wird in Auschwitz am 15. Juni 1943 ermordet werden. Er und seine Ehefrau wurden nicht deportiert. Der Grund war, dass er durch seine Ehefrau, die als „Arierin“ galt, ‚geschützt‘ war.

1944 wurde Gustav Mechau erneut zu Mündtrath vorgeladen. Er eröffnete ihm, dass er sich sterilisieren lassen müsse und forderte eine Unterschrift unter einer freiwilligen Einverständniserklärung. Gustav Mechau lehnte diese de facto Zwangssterilisation ab. Daraufhin drohte ihm Mündtrath mehrfach mit der Einweisung in ein KZ: „‘Wenn Du nicht unterschreibst, gehst Du ab in ein Lager‘. Trotz dieser Drohung habe ich die Erklärung nicht unterschrieben und konnte schließlich nach Hause gehen, wobei er mir noch nachrief: ‚Dass man mich schon kriegen werde‘.“

Aus der Sicht Gustav Mechaus scheiterte wegen dieses beständigen Verfolgungsdrucks seine Ehe. Seine Frau habe Angst gehabt, „ebenfalls Schwierigkeiten zu bekommen.“ In der Tat wurde Gustav Mechau im April 1944, wie von Mündtrath indirekt angekündigt, von der Gestapo verhaftet. „Dabei war mir ein Schein zur Unterschrift vorgelegt worden, in dem ich mich mit der Verbringung nach einem KZ einverstanden erklären sollte. Die Unterschrift habe ich verweigert mit dem Hinweis, dass ich sechs Jahre Soldat gewesen sei. […] Am Tage der Festnahme kam ich gegen 17 Uhr mit einem Polizeiwagen nach dem Lager Hoyerswege bei Delmenhorst. Dort verblieb ich etwa vier Wochen [vom 21. April bis 15. Mai].“ Nach seiner Rückkehr teilte ihm Mündtrath mit, „dass an eine Rückkehr meiner Eltern und Geschwister nicht zu denken“ sei.

Im Herbst 1944 wurde Gustav Mechau nochmals verhaftet und wieder zunächst im Lager Hoyerswege und in der Folge in der Strafanstalt Vechta inhaftiert. Vermutlich wegen „Arbeitsbummelei“, auf Grund einer Anzeige seines Arbeitgebers, dem Fuhrunternehmer Johann Ziegler, Seewenjestraße in Gröpelingen. Der Grund der Anzeige war, „dass ich drei Tage nicht gearbeitet hatte. Ich hatte während dieser drei Tage bei einem Bombenschaden meine Kräfte eingesetzt.“ Erst im Mai 1945 wurde er entlassen. Gustav Mechau entging auf diese Weise der Zwangssterilisation. In den folgenden Jahrzehnten lebte Gustav Mechau in Bremen-Gröpelingen. Als er am 6. September 1981 starb wurde er auf dem Waller Friedhof beerdigt. Ebenso seine zweite Ehefrau Henny, geb. Wobker, ehemals verh. Hemme, die am 23. April 1982 starb. Das Grab wurde mittlerweile aufgelassen. Es existiert nur noch ein Foto von dem Grabstein.

In seiner Vernehmung im Entnazifizierungsverfahren gegen den Kriminalsekretär Wilhelm Mündtrath sagte Gustav Mechau: „Ich will, dass die Wahrheit siegt und der letzte Schleier von jenen grauenhaften Einzelheiten des Naziregimes genommen wird.“

Dr. Hans Hesse

Literatur:
Hesse, Hans, „Augen aus Auschwitz. Der Fall Dr. Karin Magnussen“, in: Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte. Zeitschrift für die Regionalgeschichte Bremens im 19. und 20. Jahrhundert, Heft 6, Dezember 2000, S. 55–64.
Hesse, Hans, „Augen aus Auschwitz. Ein Lehrstück über nationalsozialistischen Rassenwahn und medizinische Forschung – Der Fall Dr. Karin Magnussen“, Essen 2001.
Hesse, Hans, „Doppelt deportiert – Familie Fridolin Laubinger“, in: Hesse, Hans, „… wir sehen uns in Bremerhaven wieder … Die Deportation der Sinti und Roma am 16./20. Mai 1940 aus Nordwestdeutschland“, Bremerhaven 2021, S. 110–113.
Hesse, Hans, „Menschenversuche in Auschwitz – Die Ermordung der Familie Oto und Auguste Mechau“, in: „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland“, Bremen 2022, S. 160–165.
Hesse, Hans, „Les Yeux d’Auschwitz. Trois familles sinti victimes des recherches médicales dévoyées des la Scientifique nazie Karin Magnussen“, Paris 2023.

Online: Hesse, Hans, Die fast vergessene Deportation (https://wkgeschichte.weser-kurier.de/die-fast-vergessene-deportation/).
Hesse, Hans, Erst Kaninchen, dann Menschen (https://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/PB2020/WK20200418S13print.pdf).
Hesse, Hans, „Ich konnte nicht auf die Auswertung eines so wertvollen Materials verzichten“ (https://www.welt.de/print-welt/article471248/Ich-konnte-nicht-auf-die-Auswertung-eines-so-wertvollen-Materials-verzichten.html).

Quellen:
Gedenkstätte Hadamar, Sammlung, N Klee, 140.
Staatsarchiv Bremen 4, 66 – I. Mündtrath, Wilhelm, 7743 und 7744 (Entnazifizierungsverfahren), Aussage Gustav Mechau.
Staatsarchiv Bremen 4, 89/3 – 710, Ermittlungsverfahren gegen Wilhelm Mündtrath, Aussage Gustav Mechau.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 15. Mai 2023

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