Hellmuth Stutzer war, seit den letzten jüdischen Anwälten die Zulassung entzogen wurde, der Rechtsberater der jüdischen Gemeinde in Bremen. Aufgrund dieser Tätigkeit war er auch mit der Witwe Auguste Michel bekannt, die aktiv an der Gemeindearbeit teilnahm und zuvor schon dem Schwesternbund der jüdischen Kaiser-Friedrich-Loge vorgestanden hatte. 311
1938 erbte Auguste Michel von ihrem Mann Jacob das Wohnhaus in der Rembrandtstraße 25. 312 Sie wohnte dort mit ihrer Tochter und Enkelin und bemühte sich um eine Auswanderung, nachdem bereits eine andere Tochter Ende 1938 in die USA geflohen war. 313 Die Ausstellung eines Visums für Kuba zögerte sich jedoch monatelang hinaus. Inzwischen war ihr Haus zu einem »Judenhaus« erklärt worden, so dass Auguste Michel mit ihrer Tochter dort zeitweise mit 17 anderen jüdischen Bremern unter einem Dach wohnte. 314
Erst im Sommer 1941 gab es die Aussicht, ein Visum zu erhalten und so regelte sie mit Stutzer den Verkauf ihres Hauses. Laut Vertrag vom 16. August 1941 war als Käuferin die Ehefrau Stutzers, Eleonore, eingetragen. 315
Bei einem Taxat von 35.000 RM war der Kaufpreis von 34.000 RM Ausdruck guten Willens, nicht einmal der Stopppreis von 80% des Taxats wurde eingehalten. Deshalb schaltete sich auch das Katasteramt ein und forderte Stutzer auf den Kaufpreis um mindestens 3.000 RM zu drücken. Stutzer ließ sich jedoch nicht beirren und konnte sich kraft seiner Autorität als Rechtsanwalt und Notar gegenüber dem Katasteramt durchsetzen.
Dies war umso erstaunlicher, als es sich bei diesem Hausverkauf um einen der letzten »freien« Verkäufe in Bremen gehandelt hatte. Aufgrund der verzweifelten Situation Michels, noch die letzte Möglichkeit zur Flucht zu nutzen, hätte der Kaufpreis erheblich gedrückt werden können.
Stutzer jedoch wusste, wie dringend Auguste Michel das Geld aus dem Verkauf brauchte, um der Reichsvereinigung der Juden die Kosten für die Passage nach Kuba zu erstatten, die diese vorher für sie ausgelegt hatte. Aufgrund der Hilfsbereitschaft Stutzers gelang es Auguste Michel mit ihrer Tochter und Enkelin, zwei Wochen nach Unterzeichnung des Kaufvertrages mit dem letzten Transport überhaupt aus Deutschland zu entkommen und nach Kuba auszuwandern.
Stutzer wurde seine vorzeitige Auszahlung des Kaufbetrags von der Gestapo vorgehalten. Laut Gestapo würde er das Grundstück auf diese Weise nicht bekommen und sollte sich »sein Geld zurückholen«. Vorerst wurde sein Haus von der Gestapo beschlagnahmt. 316Doch Stutzer strengte zwei Gerichtsverhandlungen zur Klärung der Frage an. Erst nachdem er in dieser Angelegenheit beim Reichsinnenministerium interveniert hatte, bekam er sein Grundstück zurück.
Quelle: Die >Arisierung< von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen, Hrsg: >Erinnern für die Zukunft e.V.<, III Fallbeispiele; von Hanno Balz
Veröffentlicht am 20. Februar 2011 und aktualisiert am 29. November 2022