Jakob und Anna Pfarr – Zeugen des Widerstands und der Verfolgung

Jakob Pfarr-Ausweis-pol. Häftling
Jakob Pfarr-Ausweis-pol. Häftling
"Goldene Hochzeit" Anna und Jakob Pfarr, 1980, (Tobias Harjes)
"Meckerwiese" aktuell (R. Sonnenberg)
2. März 1933
Am Werfttor, Bremen-Vegesack

Am 2. März 1933 hielt der Kommunist Jakob Pfarr in Vegesack auf der „Meckerwiese“ am Lobbendorfer Pol eine kämpferische Rede gegen die neuen faschistischen Machthaber und warnte vor einer drohenden Kriegsgefahr.  Die Freifläche vor dem Haupttor der Vulkan-Werft war ein traditioneller Versammlungsort der Gewerkschafts- und der Arbeiterbewegung und bis Anfang dieses Jahrhunderts Sammlungsort für den 1. Mai Umzug in Bremen-Nord.

Am 04. Februar 1909 in Bremen-Hammersbeck geboren, begann Jakob Pfarr mit 14 Jahren eine Lehre als Bootsbauer bei Abeking & Rasmussen. 1925 trat er dem Holzarbeiterverband bei und 1927 der KPD. In beiden Organisationen war er von Anfang an als Funktionär aktiv. Zudem war er Vorsitzender des „Kampfbundes gegen Faschismus“.

Jakob Pfarr hielt seine Rede vor der Vulkan-Werft wenige Tage nach dem Reichstagsbrand am 27./28. Februar 1933, mit dem die massive, systematische Verfolgung der politischen Gegner des NS-Regimes begann.
Dies war „seine letzte freie Rede“, wie er später in einem Interview darüber sagte. Zum Zeitpunkt seines Auftritts vor dem Vulkan war Jakob Pfarr in Vegesack und Umgebung bereits als Redner der KPD und des Holzarbeiterverbands bekannt und auch dafür, dass er auf NSDAP-Veranstaltungen als Diskutant und Agitator auftrat. Sicherlich war er sich der Gefahr bewusst, der er sich mit seinem öffentlichen Auftritt aussetzte. Bemerkenswert ist, dass er während seiner Rede nicht nur von seinen Genossen des „Kampfbundes gegen Faschismus“ vor einer Verhaftung geschützt wurde, sondern auch  Mitglieder des sozialdemokratisch orientierten „Reichbanners Schwarz-Rot-Gold“ sich schützend vor ihn stellten. In den Monaten zuvor hatten sich KPD und SPD und ihre Vorfeldorganisationen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Nazis verständigen können.

Gleich nach seiner Rede ging Jakob Pfarr „in die Illegalität“. Das hieß, seine KPD-Einheit schickte ihn zu seinem Schutz als Kurier zunächst nach Ostfriesland, kurze Zeit später nach Oldenburg. Hier wurde er das erste Mal verhaftet. Dieser Verhaftung sollten weitere folgen. Unter anderem war er 2 1/2 Jahre im Zuchthaus Oslebshausen inhaftiert. Am 01. September 1939 – sechs Wochen nach der Geburt seines Sohns – wurde er im Rahmen einer „Sonderaktion“ erneut verhaftet und für einige Monate im KZ Sachsenhausen gefangen gehalten.

„Seit Februar 1943 war ich als Wehrunwürdiger in der Wehrmacht in der Division 999 und wurde wegen politischer Unzuverlässigkeit im Oktober 1943 rausgeschmissen und der OT als Zwangsarbeiter überwiesen.“ Bei den 999ern war er in Griechenland und für die Organisation Todt (OT) zunächst in Frankreich und dann bis zum Kriegsende auf der Kanalinsel Alderney als Zwangsarbeiter. Auf Alderny geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Ab Juli 1945 war er im antifaschistischen Lager in Ascot im Lagerbeirat aktiv und verfasste Radiobeiträge für Kriegsgefangene.

In all den Jahren war Jacob Pfarrs Frau, Anna Pfarr, weitgehend alleine für die Familie zuständig, für die 1930 geborene Tochter und den 1939 geborenen Sohn. Oft wusste sie nicht wo ihr Mann war und wann und ob er zurückkommen würde.
In verschiedenen Beiträgen wies Jakob Pfarr nach dem Krieg auf die wichtige Rolle hin, die ihre Frauen und Familien für sie als verfolgte Widerstandkämpfer spielten. Sie gaben ihrem Handeln Sinn. Für sie kämpften sie für ein besseres Deutschland. Ihr emotionaler Beistand gab ihnen Kraft weiter zu kämpfen und Verfolgung zu ertragen. Zudem waren sie oft nicht nur auf die Loyalität ihrer Frauen angewiesen, sondern auch auf deren Bereitschaft, Kurierdienste zu übernehmen oder anderen Verfolgte Unterkunft zu gewähren. Anna Pfarr brachte Flugblätter versteckt im Kinderwagen zur Verteilung, wie ihr Enkel zu berichten wusste. Für die Frauen bedeutete das, sie lebten nicht nur in ständiger Angst um ihre Männer, sondern auch in der Gefahr, selber verhaftet zu werden.

Im Mai 1946 wurde Jakob Pfarr aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und „traf damit gerade rechtzeitig zum Bezirksparteitag der KPD im Aumunder Sporthaus ein“, wie er in seinen biografischen Notizen festhielt. Ab diesem Zeitpunkt war er wieder Funktionär und Aktivist der KPD. Mit dem Verbot der KPD 1956 erlebte er „eine zweite Verfolgung“. Die Wohnung der Pfarrs wurde durchsucht, Schriften und Bücher wurden beschlagnahmt. In den nächsten Jahren fanden Jakob Pfarrs politische Aktivitäten wieder in der Illegalität statt. 1968 trat er der neu gegründeten DKP bei, deren Mitglied er zeitlebens blieb.

1947 gründete sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Jakob Pfarr wurde Mitglied und ab 1961 deren Kreisvorsitzender in Bremen-Nord. Er unterstützte ehemalige Verfolgte in Wiedergutmachungsangelegenheiten, engagierte sich in der Geschichtsaufarbeitung und -vermittlung und organisierte bereits in den 60er Jahren Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus.

Anfang 1980 war er Mitbegründer des Antifaschistischen Arbeitskreises im Bürgerhaus Vegesack. Seine Erfahrungen als NS-Verfolgter gab er bis zu seinem Tod am 22. Juni 1982 im Rahmen von Ausstellungen, Vorträgen in Schulen und Kirchengemeinden und auf antifaschistischen Stadtrundfahrten an unzählige Bremen-Norder weiter.

Auch Anna Pfarr war vielen bekannt – als Jakob Pfarrs Frau. Es ist davon auszugehen, dass auch sie zu Widerstand und Verfolgung viel zu sagen gehabt hätte. Überliefert ist wenig. Wahrscheinlich wurde Sie nach ihren Erlebnissen kaum befragt. Anna Pfarr starb am 12. August 2003.

Veröffentlicht am und aktualisiert am 12. Juli 2023

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