Zu den in Bremen Geborenen, die außerhalb der Hansestadt Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten, gehört der Jurist und Theologe Kurt Müller (1902-1958): Drei Jahre vor der Machtübergabe an Hitler, im Jahr 1930, war der junge Jurist in die Sozietät der Bremer Anwältin und späteren Richterin Dr. Emmalena Bulling eingetreten. Diese befand sich in der Langenstraße 8 (heutige Hausnummer 133) in Bremen (siehe Bild).
Müller war Mitglied der SPD und ein entschiedener Nazi-Gegner. Die Vertretung politisch Verfolgter vor Gericht brachte ihm gerichtliche Verweise, einen Besuch der Geheimen Staatspolizei in seiner Wohnung und 1935 drei Monate „Schutzhaft“ in der Ostertorwache ein. Damit war seine Karriere als Anwalt beendet.
Kurt Müller entschied sich daraufhin, Theologie zu studieren – ein Fach, das ihn schon länger interessierte. Unterstützt wurde er in diesem Wunsch vom Pastor der St. Stephani-Gemeinde, Gustav Greiffenhagen, einem ebenfalls entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus. Er begann seine Ausbildung an der kirchlichen Hochschule in Wuppertal.
Ein Stipendium des Hamburger Fabrikanten Philipp Reemtsma machte es möglich, dass er ab 1938 in Basel beim Mitbegründer der NS-kritischen Bekennenden Kirche, Karl Barth, studieren und einen sehr guten Abschluss hinlegen konnte. Nach seiner Ordination in Basel 1941 wurde er 1942 Pastor der reformierten Gemeinde von Stuttgart-Degerloch.
Die Nähe zur Bekennenden Kirche und die strikte Ablehnung des Nationalsozialismus brachten ihn mit widerständigen Kreisen in Berlin-Dahlem in Berührung, die versuchten, so viele Juden wie möglich zu retten. Dort traf er 1942 auch auf eine Bremerin: Gertrud Staewen, geb. Ordemann, Schwester von Hilda und Schwägerin von Gustav Heinemann, dem späteren Bundespräsidenten.
Die Lebensgefährtin Karl Barths, Charlotte von Kirschbaum, kündigte ihn in einem Brief an Gertrud Staewen so an: „Er ist unpathetisch, warmherzig und eigenwillig. Ist das nicht alles, was es braucht?“. Die Autorin Marlies Flesch-Thebesius, die in ihrem Buch „Zu den Außenseitern gestellt“ Gertrud Staewen porträtiert, schildert ihn so: „Er war ein gut aussehender Mann, dem man den Pfarrer nicht auf den ersten Blick ansah und eigentlich auch nicht auf den zweiten… Er trug einen großen runden Künstlerhut, nicht zur Tarnung, sondern zum Vergnügen.“
Die Bremerin Staewen und der Bremer Müller hatten einen guten Draht zueinander und gemeinsam mit Staewens Berliner Freundeskreis das gleiche Ziel: Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
In Stuttgart-Degerloch beteiligten sich Müller und seine Frau Elisabeth an der so genannten „Pfarrhauskette“, einem lockeren Bündnis von Pastorenfamilien, die in ihren Häusern Juden versteckten und unterstützten. Ein rundes Dutzend Verfolgte fanden in der kleinen Wohnung der Müllers Unterschlupf – unter ihnen auch ein junger wagemutiger Passfälscher mit Namen Cioma Schönhaus, dem es 1943 gelang der Gestapo zu entkommen, in dem er mit dem Fahrrad von Berlin bis in die Schweiz fliehen konnte.
Nach 1945 wurde Kurt Müller von der US-Militärregierung zum Lizenzträger des Kohlhammer Verlags in Stuttgart bestellt – man wusste dort, dass er sich dem NS-Regime widersetzt hatte. Und Lizenzen für Druckerzeugnisse gab es in jener Zeit nur für unbelastete Deutsche.
Ende 1950 wurde der Jurist und Pastor zur politischen Person: Der niedersächsische Ministerpräsident Hinrich Kopf berief ihn als Ministerialrat in seine Regierung nach Hannover. In dieser Eigenschaft hatte Müller Anteil am Zustandekommen des „Loccumer Vertrages“, des ersten offiziellen Vertrages zwischen Staat und Kirche in Deutschland nach 1945.
In der Diskussion um die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik gehörte Kurt Müller zu deren schärfsten Gegnern. Von Zeit zu Zeit stieg er aber auch wieder als Prediger auf die Kanzel in der Kirche der reformierten Gemeinde in Hannover.
Kurt Müller starb 1958.
Quellen: Autor einer Biographie über „Kurt Müller – Anwalt der Verfolgten des Nationalsozialismus“ ist der emeritierte Theologie-Professor Eberhard Busch. Das Buch ist 2014 im Calwer Verlag Stuttgart erschienen.
Mehrfach erwähnt ihn ebenso Marlies Flesch-Thibesius in ihrer Staewen- Biographie (Wichern-Verlag, 2004).
Auch der Holocaust-Überlebende Arno Lustiger gedenkt Müller in seinem Buch „Rettungswiderstand – Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit“ (Wallstein Verlag).
Eine besondere Würdigung erfährt Kurt Müller außerdem in der Berliner Gedenkstätte „Stille Helden“.