Zwangsverkauf einer „Mikwe“ in der Neustadt

Bild zeigt das ehemalige jüdische Badehaus in der Vohnenstraße
Ehemaliges jüdisches Badehaus in der Vohnenstraße, Bremen
Abbildung_Vohnenstraße 3
DENKORTE Stele in der Vohnenstr.
Enthüllung der Stele am 15.6.2018
1. März 1939
Vohnenstraße 3, Bremen

1899 wird im Bremer Adressbuch für den Stadtteil Huckelriede eine „Jüdische Badeanstalt“ in der Vohnenstraße 3 erwähnt. Benutzt wurde diese „Mikwe“ von der streng religiösen jüdischen „Schomre Schabbos“- Gemeinde. Mikwen haben im Judentum eine hohe religiöse Bedeutung. Sie dienen insbesondere Frauen der rituellen Waschung mit fließendem Quellwasser.

Die Angehörigen der „Schomre Schabbos“- Gemeinde kamen ursprünglich aus Ost-Europa und lebten überwiegend in Bremen-Sebaldsbrück. Ihre Suche nach einem geeigneten Standort für die Mikwe führte sie in das durch Arbeiter- und Handwerkerfamilien geprägte Wohngebiet Huckelriede. Auf Initiative von Moses Schragenheim wurde eine Eigentümergemeinschaft gebildet und das Haus in der Vohnenstraße gekauft. Schragenheim besaß am Ende der Straße noch zwei weitere Weidegrundstücke. Die private Eigentümergemeinschaft stellte die Mikwe sowohl der „Schomre Schabbos“, wie auch der Israelitischen Gemeinde im Schnoor zur Verfügung.

Für den Betrieb der Mikwe wurde im Kellergeschoss das typische Tauchbecken mit einer Verbindung zur fließenden Quelle eingerichtet. Ebenso Aufenthalts- und Umkleidemöglichkeiten. In den oberen Stockwerken befand sich die Hausmeisterwohnung. Hier wohnte Familie Schillig. Emma Schillig arbeitete dort als Verwalterin des Hauses, ihr Sohn Rudolf als Hausmeister. Nach mehr als zwei Jahrzehnten des Mikwe-Betriebes versuchte die Eigentümergemeinschaft 1923 die Einrichtung inklusive Gebäude und Grundstück an die Israelitische Gemeinde in der Kolpingstraße zu verschenken. Diese lehnte die Schenkung allerdings ab, da die Voraussetzungen für einen modernen Badebetrieb nicht gegeben waren. In der Folge wurden die Räume des Bades modernisiert, neu gefliest und eine Heizanlage eingebaut. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass die gesamte Liegenschaft mit Eintrag vom 5. Mai 1928 in das Grundbuch letztendlich doch in das Eigentum der Israelitischen Gemeinde im Schnoor überging, die das Bad weiter führte. Ab 1933 steigerten die Nazis die Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung systematisch. Spätestens mit der von der SA organisierten Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde deutlich, dass mit aller Gewalt gegen sie vorgegangen wird. Fünf Menschen jüdischen Glaubens wurden in dieser Nacht in Bremen ermordet, zahlreiche Geschäfte und Einrichtungen zerstört und die Synagoge im Schnoor in Brand gesetzt.

Angesichts dieser bedrohlichen Situation sah sich die Israelitische Gemeinde gezwungen, das Haus am 1. März 1939 unter Wert an den als „arisch“ geltenden Hausmeister Rudolf Schillig zu verkaufen. Taxiert wurde das Grundstück inklusive Gebäude mit 9.500 Reichsmark, verkauft wurde es für 4.500 Reichsmark.

Ähnlich handelte die Gemeinde wohl auch in anderen Fällen, denn “zum gleichen Termin verkaufte die Gemeinde drei weitere Liegenschaften, die nicht weiter als »Judenhäuser« genutzt wurden. Unter anderem auch das Grundstück der ausgebrannten Synagoge. Diese lagen alle nahe beieinander im Schnoor in der Bremer Altstadt. Bis auf das Synagogengebäude handelte es sich um kleinste, sehr alte Einfamilienhäuser. Sie wurden den Mietern – Arbeiterfamilien, die dort schon lange wohnten – angeboten und verkauft.* Beim Verkauf ihres Wohnhausbesitzes wandte sich die Gemeinde an altbekannte Mieter, die dort bereits in einem jahrelangen Mietverhältnis lebten, und konnte so auf eine gewisse Vertrauensbasis zurückgreifen. Der Kaufpreis wurde von der Gemeinde bei ihrem Angebot von vornherein niedrig  angesetzt, es gab keine langen Verhandlungen und die Parteien waren sich schnell einig”. (* Fußnote aus dem Buch von Hanno Balz, die sich auf entsprechende Akten im Staatsarchiv Bremen bezieht:  318 StAB 4,13/l — R.l.fiNr. 260 (#91); StAB 4,13/1 – Kl.f.Nr. 260 (#92); StAB 4,54 – Ra 2140)

Auch die beiden Weidegrundstücke der Familie Schragenheim in der Vohnenstraße bzw. an der Ecke zur Neuenlander Straße wurden am 16. Juni 1939 unter dem Druck der Nazis zwangsverkauft an die Ehefrau eines Architekten. In der Verkaufsakte wird ausdrücklich erwähnt, dass der Kaufmann Elias Schragenheim, als Testamentsvollstrecker seiner Eltern Moses und Theresa Schragenheim, “Jude ist und die übrig Erschienenen keine Juden sind” und die für Bremen zuständige NSDAP-Gauleitung in Oldenburg teilte dem Finanzamt mit, “keine Einwände gegen den Verkauf zu erheben”. (Zitate aus der Akte Reg. Nr. 4, 13/1 264 R1 f. zu Nr. 206 Nr. 135 im Staatsarchiv Bremen)

1950 erhielt die Israelitische Gemeinde die Liegenschaft Vohnenstraße 3 nach einem Vergleich mit der Familie Schillig und eine Ausgleichszahlung von 1.600 DM zurück.

Am 15.6.2018 hat die Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport, Frau Anja Stahmann, gemeinsam mit der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, Frau Elvira Noa, ein „DENKORTE“ Stele gegenüber vom Haus enthüllt. Die Patenschaft für die Stele hat die benachbarte Wilhelm-Kaisen-Oberschule übernommen.

Quellen: “Geschichte der Juden in Bremen und Umgegend” von Max Markreich (2009, Edition Temmen) und „Die „Arisierung“ von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen“ von Hanno Balz, Hrsg: „Erinnern für die Zukunft e.V.“

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 14. Oktober 2023

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