Der „Hartmannshof“ wurde bereits 1869 als sogenannte Rettungsanstalt für Mädchen der Inneren Mission gegründet. Später übertrug man die Trägerschaft an der Verein für den Ellener Hof, doch Ende 1933 ging er in die staatliche Obhut des Jugendamtes über. Im Heim wurden Kinder und weibliche Jugendliche untergebracht.
Nach der vorherrschenden Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entwickelten die Nationalsozialisten mit tatkräftiger Unterstützung von „Wissenschaftler/innen“ und „Psycholog/innen“ und „Psychiater/innen“ Selektionskriterien, nach denen der „Wert bzw. Unwert“ der Kinder und Jugendlichen über deren individuelles Wohl gestellt wurde. In Folge dessen konnten sie zwangssterilisiert, ins Jugendkonzentrationslager abgeschoben oder in psychiatrische Einrichtungen verlegt werden. Dort wurden sie häufig ermordet, starben an Unterernährung oder Krankheiten. Laut Untersuchung von Gerda Engelbracht* wurden mindestens 41 Jugendliche, die in Bremer Heimen lebten, zwischen 1934 und 1945 zwangsweise unfruchtbar gemacht. Dokumentiert ist, dass mindestens 3 Mädchen und 7 Jungen in Konzentrationslagern oder psychiatrischen Anstalten gewaltsam zu Tode gebracht wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten diese von Willkürakten Betroffenen lange auf irgendwelche Entschädigungen warten. In vielen Fällen ist es nie zu einer Entschädigung gekommen, weil die Opfer entweder bereits verstorben waren oder ihnen das Antragsverfahren nicht bekannt war. Insbesondere die Opfer der Zwangssterilisation mussten oft Jahrzehnte für die Anerkennung ihrer Ansprüche streiten, da ihr Leid nicht mit jenen Erlebnissen anderer Opfergruppen gleich gesetzt wurde.
Selektierte Mädchen und Frauen wurden in die nahe gelegene Bremer Nervenklinik gebracht und dort ambulant untersucht. 29 von ihnen wurden an das ebenfalls dort tagende Erbgesundheitsgericht überwiesen. Bis auf ein Mädchen wurden alle auf Beschluss dieser Rassehygienevollstrecker unfruchtbar gemacht. Die Jüngste war gerade erst 14 Jahre alt.
Mädchen, die nach Meinung der Jugendfürsorge oder der Anstalt „verwahrlost“ waren oder bei denen diese Verwahrlosung nach Meinung der zuständigen Mitarbeiter drohte, wurden in auswärtige Anstalten, insbesondere nach Kaiserswerth oder Aprath, überstellt.
1942 wurde das Haus verkauft. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) richtete hier das Hermann Hildebrand Säuglings- und Kleinkinderheim ein. Die Selektion nach den vorherrschenden Kriterien der nationalsozialistischen Rassenlehre blieb jedoch bestehen. Die dreijährige Monika Unger und der einjährige Jens Neuhaus aus Bremen wurden dementsprechend durch die Heimleitung in die „Kinderfachabteilung“ des Landeskrankenhauses in Lüneburg überwiesen. Hier wurden sie ermordet!
Heute ist in der ehem. Hartmanshof der Jugendhilfeträger „Hermann Hildebrand Haus“ ansässig.
Quellen: Gerda Engelbracht: „Denn ich bin unter das Jugenamt gekommen* – Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933 – 1945“ (Edition Falkenberg, 2018) und Gerda Engelbracht: „Der tödliche Schatten der Psychiatrie – Die Bremer Nervenklinik 1933 – 1945“ (Donat Verlag, 1996)
* Zitat eines jugendlichen Briefschreibers.