Thea Stoldt – Eine Diakonisse im Dienst des NS-Rassenwahns

Diakonissenmutterhaus, Nordstraße, 1930er Jahre
Diakonissenmutterhaus, Nordstraße, 1930er Jahre
Todesanzeige Thea Stoldt
Todesanzeige Thea Stoldt
18. Juli 1942
Nordstraße 106, Diakonissenhaus, Bremen-Walle

Thea Stoldt wurde am 7. Februar 1912 in Bremen geboren. Ihre Taufe und Konfirmation fanden in der Liebfrauenkirche statt. Nach Abschluss der Volksschule im April 1927 arbeitete sie zunächst als Bibliotheksgehilfin, absolvierte einen Stenotypistenkursus, besuchte kurzzeitig die Handelsschule und trat im April 1931 dem Diakonissenhaus bei, zunächst auf „Vorprobe“.
Laut den „Bestimmungen für die Schwesternschaft des Evangelischen Diakonissenhauses in Bremen nebst Aufnahme-Bedingungen“ konnten dem Diakonissenhaus „christlich gesinnte Jungfrauen und kinderlose Witwen evangelischen Bekenntnissen“ beitreten, um sich für die „Pflege und Fürsorge für Kranke und Hilfsbedürftige, für Kinder und Alte in Anstalten, in Familien oder Gemeinden, sowie in der Erziehung der Kinder“ ausbilden zu lassen. Außerdem wurde vorausgesetzt, „dass die sich Meldenden das aufrichtige Verlangen haben, aus Liebe zu ihrem Heilande und in seiner Kraft sich mit Hingabe und Treue“ dem Dienst zu widmen.

Von April 1931 bis Oktober 1934 leistete sie über 20 Monate „Krankenpflege“. Ende 1934 wurde sie zur „schulwissenschaftlichen Prüfung“ zugelassen. U.a. waren hierfür Kenntnisse über das „dritte Reich“ und die „nationalsozialistischen Ideen“ nötig. Im März 1935 bestand sie die Prüfung für die Aufnahme in die „Fachschule für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen“, die sie zwei Jahre später abschloss mit einem Gesamturteil „sehr gut“ in den wissenschaftlichen Fächern, wozu u.a. Jugendwohlfahrt, Erziehungslehre, Geschichte und Gesundheitslehre gehörten. In der praktisch-pädagogischen Arbeit erhielt sie u.a. für die Arbeit im Kindergarten das Gesamturteil „gut“.

Zwischenzeitlich absolvierte Thea Stoldt im Sommer 1936 ein Praktikum in den Diakonie-Anstalten in Bad Kreuznach. U.a. verrichtete sie „auf einer der Kinderstationen unseres Krüppelheims alle dort vorkommenden Arbeiten“ und betätigte sich „erzieherisch und pflegerisch“. Außerdem erhielt sie „Einblick in die Spezialschulen für Körperbehinderte und Schwachsinnige.“ 1937 wurde Thea Stoldt als Diakonisse eingesegnet und legte im gleichen Jahr ihr Examen als Kindergärtnerin ab. 1940 folgte ein Krankenpflegeexamen.

Im Frühjahr 1942 war die Diakonisse Thea Stoldt Leiterin des Kindergartens der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in Woltmershausen als Mariechen Franz hierhin vermittelt wurde. Zwischen Mariechen und der Leiterin kommt es zu Konflikten. Am 18. Juli 1942 verfasste Thea Stoldt ein folgenschweres Schreiben vermutlich an das Jugendamt: „Es handelt sich bei Mariechen um ein schwachsinniges Mädchen, welches sehr triebhaft, aufdringlich, hemmungslos, wenig leistungsfähig in der Arbeit, aber willig und gehorsam und anhänglich ist. Im Kindergarten ist sie schwer tragbar, dazu kommt, dass sie als nichtarisch (Zigeuner) für die NSV-Arbeit nicht in Frage kommt. M. ist sehr männertoll und versucht mit allen vorübergehenden Männern anzubändeln. Vor einigen Tagen fand ich einen Flaksoldaten in ihrem Zimmer. […] Beide behaupteten, keinen GV [Geschlechtsverkehr] gehabt zu haben.“

Vor allem dieser Vorwurf der Rassenschande führte letzten Endes zunächst zu Mariechens Zwangssterilisation und zur späteren Deportation nach Auschwitz und ihrem Tod in dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Eine genauere Einschätzung des Handelns von Thea Stoldt steht im Moment noch aus. Erkennbar ist aber schon jetzt, dass sie zu konformem Verhalten ohne Konformitätszwang bereit war und die NS-Ideologie ohne erkennbaren Hinweis auf eine eigene besondere Nähe zu den rassenideologischen Zielen der NSDAP anzuwenden wusste und umsetzte.

In dem Verhalten von Thea Stoldt drückt sich die Ambivalenz eine „ganz normalen“ Frau – in Anlehnung an einen Buchtitel von Christopher R. Browning – und einer „willigen Vollstreckerin“ – in Anlehnung eines Buchtitels von Daniel Goldhagen – aus.

Nach 1945 war Thea Stoldt bis 1979 Gemeindeschwester in der Gemeinde Unser Lieben Frauen. Sie starb am 25. Februar 2000. In der Todesanzeige hieß es, dass ihr Leben und Sein „durch und durch bestimmt [war] von der Diakonie. Sie lebte sie bis an ihr Ende in dem Bewusstsein, dass Gott sie zum diakonischen Handeln berufen hatte.“

Thea Stoldt wurde auf dem Friedhof in Bremen-Lesum beigesetzt.

Dr. Hans Hesse

Literatur:
Engelbracht, Gerda, Der tödliche Schatten der Psychiatrie. Die Bremer Nervenklinik 1933–1945, Bremen 1996, S. 50–54.
Dies., „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen.“ Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933–1945, Bremen 2018, S. 43–47.
Dies., Maria Franz, in: Peter Christoffersen, Barbara Johr (Hg.), Stolpersteine in Bremen. Biografische Spurensuche. Neustadt, Bremen 2020, S. 91–94.
Hesse, Hans, „[…] die Ausscheidung aus der Volksgemeinschaft auf die eine oder andere Weise […]“ – Die Geschichte der Familie Maria Franz, in: Hesse, Hans, „Ich bitte, die verantwortlichen Personen für ihre unmenschlichen barbarischen Taten zur Rechenschaft zu ziehen“ – Die Deportation der Sinti und Roma am 8. März 1943 aus Nordwestdeutschland, Bremen 2022, S. 45–50.
Nitschke, Asmus, Die ‚Erbpolizei‘ im Nationalsozialismus. Zur Alltagsgeschichte der Gesundheitsämter im Dritten Reich. Das Beispiel Bremen, Opladen/Wiesbaden 1999, S. 242–247.

Quellen: Personalakte Thea Stoldt, in: Diakonissenmutterhaus, Bremen
Bild: Archiv Ev. Diakonissenmutterhaus Bremen

Veröffentlicht am und aktualisiert am 28. April 2023

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