„Wir haben uns schon im Bunker geschworen, sofort wieder anzufangen, wenn der Krieg zu Ende wäre – und das haben wir dann auch getan“. Originalton von Gertrud Maaß, spätere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete.
Der Krieg war in Bremen im Morgengrauen des 27. April 1945 zu Ende. Nach Einnahme Bremens durch britische Kampftruppen übernahm eine US-Militärregierung die Besetzung der Stadt (zur Information: Bremen war besetzt von britischen und amerikanischen Heerestruppen), für die einen feindliche Besatzer, für die anderen Befreier.
Am 29. April 1945 bahnte sich Emil Theil, der letzte Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion vor dem Verbot durch die Nazis, von der Neustadt kommend mühsam einen Weg zum unzerstört gebliebenen Rathaus. Dort erklärte er dem von den Briten als provisorischen Bürgermeister eingesetzten provisorischen Polizeipräsidenten Schroers in Gegenwart britischer Besatzungsoffiziere klipp und klar: Die SPD beansprucht die führende Rolle bei der Zusammenstellung des künftigen Senats.
An den folgenden Tagen trafen sich eine Reihe ehemaliger führender Sozialdemokraten, außer Emil Theil u. a. Christian Paulmann, der Bildungsexperte und Reformschulgründer, Oskar Schulze, der Gewerkschaftsführer sowie der frühere Parteisekretär Josef, genannt Seppl, Böhm. Ein Name der in allen Gesprächen eine Rolle spielte: Wilhelm Kaisen, Wohlfahrtsenator von 1927 bis 1933.
Wie der Aufbau eines neuen Bremen vonstattengehen sollte, entschied zunächst einmal die amerikanische Militärregierung. Sie war bestens vorbereitet und verfügte über eine mit Hilfe des militärischen Geheimdienstes zusammengestellte Liste mit Namen von Bremer Persönlichkeiten, die, weil politisch unbelastet, für zukünftige Leitungsaufgaben im Senat in Frage kamen. Acht Herren erhielten am 5. Juni 1945 im Haus Contrescarpe 24, dem Sitz der Militärregierung, heutiger Sitz des Innensenators, ihre Ernennungsurkunden.
Der ernannte erste Senat nach dem Krieg sah so aus: Erich Vagts, (ehemals DNVP), regierender Bürgermeister, Dr. Theodor Spitta, (Deutsche Staatspartei), Justiz und Verfassung, Dr. Hermann Apelt, (Deutsche Volkspartei),Wirtschaft, Häfen und Verkehr, Christian Paulmann (SPD), Schulen und Erziehung, Emil Theil (SPD), Bauwesen, Dr. Wilhelm Nolting-Hauff (parteilos), Finanzen, Hermann Wolters (KPD), Ernährung und Arbeitsbeschaffung. Wilhelm Kaisen (SPD), Wohlfahrtswesen. Zum Präsidenten des Senats wurde Wilhelm Kaisen erst am 1. August ernannt, nachdem Vagts abgesetzt worden war.
Auf Einbeziehung eines Kommunisten hatten die Amerikaner, sehr zum Verdruss der bürgerlichen Herren, bestanden.
Im Frühsommer 1945 machten sich in mehreren Stadtteilen SPD-Männer und -Frauen auf den Weg, um die alten Genossen und Genossinnen aufzusuchen und zu inoffiziellen Versammlungen in Privatwohnungen oder in halbzerstörten Schulgebäuden einzuladen. Lange vor der offiziellen Wiederzulassung wollten sie das Parteileben wieder aufleben lassen.
Neben dem Wiederaufbau der Partei liefen parallel dazu Bestrebungen, eine parteiübergreifende antifaschistische Bewegung zum sofortigen Einsatz zu schaffen: die „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“ (KgF). Bereits am 29. April 1945, dem Tag, an dem Emiel Theis im Rathaus erschein, stellten sich die beiden Kommunisten Adolf Ehlers und Hermann Wolters im Polizeihaus, Quartier des britischen Militärkommandanten, als Vertreter der antifaschistischen Arbeiterschaft Bremens vor und überreichten das „Sofortprogramm der Werktätigen“ der KgF. Damit meldeten sie ihrerseits öffentlich einen Anspruch auf Mitgestaltung der zukünftigen politischen Verhältnisse in Bremen an. Die beiden Kommunisten Adolf Ehlers und Hermann Wolters gehörten, wie Emiel Theil zu den Gründungsmitgliedern der KgF. Wichtige Schaltstellen, wie das Wohnungs- und Arbeitsamt, wurden zu diesem Zeitpunkt von KgF-Funktionären geführt.
Das Sofortprogramm der KgF, abgedruckt in der erste Nummer des „Aufbau. Organ der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, verband Forderungen nach gründlicher politischer Säuberung mit Forderungen nach Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung, z. B. die kontrollierte Verteilung der vorhandenen Lebensmittel.
Wilhelm Kaisen, obgleich auch Mitglied, stand der KgF distanziert gegenüber, „da er deren grundsätzlicher politischer Ausrichtung, die auf die Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei und einer Einheitsgewerkschaft abzielte, äußerst skeptisch gegenüberstand.“[1]
Querelen mit den Amerikanern und die gleichzeitig laufenden Vorbereitungen für eine getrennte Neugründung der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD entzogen der KgF auf Dauer den Boden. Am 16. Dezember löste sich die Kgf nach siebenmonatiger Tätigkeit auf.
Am 19. Oktober 1945 wurden SPD und KPD offiziell wieder zugelassen. Obgleich die Bremer SPD zu der Zeit keine Vereinigung mit der KPD mehr anstrebte, fanden die ersten öffentlichen Versammlungen meistens noch gemeinsam statt.
Die Partei war also wieder da! Seppl Böhm, der letzte Parteisekretär vor 1933, wurde wieder Parteisekretär. Er richtete im Kellerraum des Hauptwohnungsamtes Am Wall 179/180 ein provisorisches Parteibüro ein, in das die Genossen strömten, um sich wieder einschreiben zu lassen. Die Partei musste dringend wachsen. Man forschte nach ehemaligen Mitgliedern, z. B. unter den aus der Gefangenschaft Zurückkehrenden, suchte alte Bekannte unter den ehemaligen SAJ Mitgliedern (Sozialistische Arbeiterjugend) und Reichsbannermitgliedern. Die Genossen, meist männlich, wurden aufgefordert, ihre Frauen mitzubringen und sie zu bewegen, ebenfalls in die Partei einzutreten. Helene Kaisen rief in Zeitungsartikeln die Frauen zum Mitmachen auf.
Noch ein weiteres Problem gab es, das allerdings nicht die SPD zu verantworten hatte, sondern die Besatzungsmacht. Die wollte nämlich zunächst keine parteipolitisch gebundene Jugendarbeit, Jugendarbeit hatte strikt unpolitisch zu sein; deshalb wurde die Sozialistische Arbeiterjugend – die Falken – verboten. Sogar die von der SPD traditionellerweise durchgeführte Jugendweihe war verboten, aber auch Arbeitersportvereine. Erlaubt war die Arbeit mit Kindern. So konnte schon im Juni 1945 in einigen Stadtteilen die traditionelle sozialdemokratische Kinderfreundebewegung wieder entstehen. Sehr aktiv in diesem Bereich war übrigens die junge Annemarie Mevissen, die spätere Jugend- und Sozialsenatorin.
Am 13. Oktober 1946 fand nach 16 Jahren zum ersten Mal wieder eine freie Bürgerschaftswahl statt. Trotz eines komplizierten Wahlsystems, das stark vom britischen Mehrheitswahlsystem beeinflusst war, gab es eine Wahlbeteiligung von 85,2 %. Die SPD erhielt 47 %, 51 von 80 Sitzen. Bremerhaven gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Land Bremen.
Kaisen wollte trotz absoluter Mehrheit ein Bündnis von Kaufmannschaft und Arbeiterschaft. Ergebnis war ein Koalitionssenat: 7 SPD-Senatoren, 4 bürgerliche, 1 KPD-Senatorin. Letztere war Käthe Popall, die damit die erste Frau im Senat der Hansestadt wurde. Adolf Ehlers und Hermann Wolters waren inzwischen SPD-Senatoren, denn sie hatten im Mai 1946 der KPD den Rücken gekehrt.
Dieser Text ist die gekürzte Version eines Vortrags der Historikerin Renate Meyer-Braun, Februar 2022.
[1] Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen. Eine politische Biographie. Bonn 2000, S.. 142
Veröffentlicht am 21. März 2022