Wilhelm Dierks rettet durch Flucht sein Leben

Porträt 1946 Wilhelm Dierks
Ausweis polit Gefangener Wilhelm Dierks
Katrepeler Straße 40, Bremen-Findorff

Wilhelm Dierks, geboren am 9. Dezember 1900, Sohn des Schneidermeisters und Sozialisten Johann Christoff Dierks und dessen Ehefrau Magdalene (geb. Becker), wuchs in der östlichen Vorstadt und im Stephani-Viertel auf. Sein Elternhaus, seit den 1920er Jahren in der Katrepeler Straße 40 in Borgfeld, blieb über das Kriegsende 1945 hinaus sein Bezugspunkt.

Er besuchte die Volksschule und absolvierte eine Ausbildung zum Maler. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurde der siebzehnjährige Wilhelm eingezogen. Die Kriegserlebnisse prägten ihn, er entwickelte sich zum uneingeschränkten Kriegsgegner. 1918 wurde er aus politischen Gründen verhaftet. Ab 1919 war Wilhelm in der sozialistischen Arbeiterjugend aktiv. Dort übernahm er den Posten des Kassierers und war zudem Mitglied in der SPD bis zu deren Verbot 1933. Er engagierte sich von 1922-1934 überzeugt der Vegetarierbewegung und blieb später seinen Ernährungsgewohnheiten treu. In Kriegszeiten setzte ihm die Mangelernährung derart zu, dass er an Gewicht verlor. Er war 164 cm groß und bekam wegen starkem Untergewicht 1942 zusätzliche Lebensmittelrationen. Im Mai 1928 verließ er Bremen und ging als Malerhandwerker auf Wanderschaft. Sein Weg führte ihn nach Jena. Dort heiratete er am 18. Mai 1929 Maria Elisabeth Piper (geb. 1898 in Byfang/Kr. Essen). Im Februar 1931 zog das Ehepaar nach Bremen, wohnte zunächst zur Miete, ab 1935 wieder bei den Eltern in der Katrepler Straße 40.

Ab 1934 erwirtschaftete sich das Ehepaar mit einem eigenen Obst- und Gemüseanbau einen Nebenverdienst. Marie Dierks war von Beruf Verkäuferin. Eine Anstellung bei Koch & Bergfeld gab sie Anfang 1943 aus gesundheitlichen Gründen auf. Im Schweizer Exil berichtete sie in einem Rüstungsbetrieb tätig gewesen zu sein, ob sich dies auf die Anstellung bei Koch & Bergfeld bezieht, bleibt offen.

Wilhelm Dierks war gegen das NS-Regime eingestellt. Deshalb zog er sich gerne ab 1933 in ein Haus in Kattenesch zurück. Polizeilich gemeldet blieb er bis 1945 bei seinen Eltern, erst danach erfolgte die Ummeldung zum Ochtum Deich. Als gelernter Maler zwang ihn das NS-Regime ab 1934 der Deutschen Arbeiterfront (DAF) beizutreten.

Mit Kriegsbeginn nahm seine Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen zu. Er machte aus seiner Meinung keinen Hehl und wurde mehrfach denunziert. Als er 1940 als Maler eine Anstellung bei den Francke-Werken bekam, wurde er irrtümlich als Kommunist angesehen. Die eine oder andere Äußerung von ihm schürten im Betrieb diesen Verdacht, was sich jedoch nicht erhärtete. Als aber ein polnischer Arbeiter im Werk Überstunden verweigerte, äußerte sich Dierks, dies sollten sämtliche Polen tun. Die Gestapo verwarnte ihn daraufhin.

Wilhelm Dierks 14-jähriger Sohn Helmut war mit dem etwas älteren Georg Hattenhauer (jun.) aus der Kattenescher Nachbarschaft befreundet. Der Freund verabschiedete sich von der Familie Dierks am 29. April 1943, er sollte einrücken zu seinem Nachrichtenersatzregiment in Nürnberg. Es ergab sich ein Wortwechsel, in dessen Verlauf Wilhelm Dierks bedauerte, dass der junge Mann sich freiwillig zur SS gemeldet hatte, obwohl er es zuhause deutlich besser hätte. Der Krieg sei ein regelrechtes Morden. Man solle die Menschen in Ruhe und Frieden arbeiten lassen. Kriegsverbrecher müssten weg, damit der Krieg beendet werde. Wilhelm Dierks äußerste sich außerdem zu den im Wald von Katyn gefundenen 12.000 ermordeten polnischen Offiziere. Er bezweifelte, dass sie von den Russen ermordet seien und hielt dies für Propaganda von deutscher Seite gegen den Feind. Angeblich sei dies die Meinung der in den Franke-Werken beschäftigten Polen. Georg Hattenhauer (jun.) berichtete seinem Vater, einem Oberzollinspektor und Zellenwart der NSDAP, von der Unterhaltung, der daraufhin Wilhelm Dierks denunzierte. Zwei Monate später wurde Dierks verhaftet. Er gab alle Anschuldigungen zu, unter anderem wollte er mit seinen Äußerungen den Wehrwillen des jungen Mannes zersetzen. Er kam ab 26. Juni 1943 in Untersuchungshaft, wurde jedoch wegen Haftunfähigkeit am 2. August 1943 beurlaubt, weil er nur noch „85 Pfund“ wog. Die Staatsanwaltschaft des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg klagte ihn an wegen „öffentlicher Wehrkraftzersetzung“ und forderte die Todesstrafe. Am 6. Januar 1944 wurde Wilhelm Dierks die Anklageschrift zugestellt. Um sein Leben zu retten, flüchtete er mit seiner Frau, Freunde halfen ihnen dabei.

Die Flucht erfolgte via Hannover und Frankfurt, ins Elsass und in der Umgebung von Bonfort illegal über die Schweizer Grenze. Sie meldeten sich bei der dortigen Kantonspolizei und wurden zunächst ins Bezirksgefängnis Porrentruy gebracht. Mit Grenzübertritt wurden ihnen, soweit vorhanden, Pässe, Geld und Wertsachen abgenommen und verwahrt. Anschließend kamen sie in ein Internierungslager, bis über ihren Arbeitseinsatz entschieden war, mit dessen Entlohnung sie ihren Unterhalt zu finanzieren hatten. Das Lager stand unter militärischer Bewachung, sich frei zu bewegen war den Flüchtlingen nicht möglich. Die Flüchtlinge wurden anschließend in Arbeitslager überstellt, in gesonderten Fällen wurden sie unter Polizeiaufsicht in die „private Internierung“ (Unterkunft außerhalb eines Lagers) entlassen.

Da das Ehepaar durchaus widersprüchliche Angaben zu seinem Können und Wissen machte, waren die Arbeitsvermittlungen der Schweizer Behörden nicht erfolgreich. Die Arbeitgeber zeigten sich unzufrieden mit den Bremern, warfen ihnen mangelnden Arbeitswillen und auch fehlendes Können vor. Wilhelm Dierks wurde beschrieben als „gebrechlicher hysterischer Mensch“. Sie wechselten mehrfach den Arbeitgeber. Als die Behörden die Falschangaben schließlich aufdeckten, wurde Wilhelm Dierks in ein Arbeitslager strafversetzt.

Wilhelm und Maria Dierks hatten sich schon in Bremen aus gesundheitlichen Gründen salzarm ernährt. Die ungewohnte Ernährung bei den verschiedenen Arbeitgebern schadete Wilhelm Dierks Gesundheit und er wurde arbeitsunfähig. In der Schweiz war geregelt, dass jeder, der nicht im Arbeitseinsatz war in ein Internierungslager zurückmusste. Das Ehepaar vertrat sehr intensiv seine Interessen hinsichtlich Art der Arbeit, bei demselben Arbeitgeber angestellt zu sein und nicht getrennt untergebracht zu werden, sowie nach angemessener Ernährung. Gleichzeitig versicherten sie ihre Bereitschaft zur Arbeit, da sie mit dem Verdienst gewisse notwendige Anschaffungen tätigen könnten. Doch auch Maria Dierks hatte gesundheitliche Einschränkungen und war zunehmend weniger arbeitsfähig. Mit Ende des Krieges suchten sie um Reisegenehmigung nach Bremen. Insbesondere machten sie sich Sorgen um ihren 16-jährigen Sohn, den sie in Bremen zurückgelassen hatten. Sie kauften sich Fahrräder und machten den Behörden den Vorschlag, damit die noch unterbrochenen Bahnstreckenabschnitte zu überwinden. Sie wünschten außerdem die Genehmigung unterwegs „Militärkantinen oder Volksküchen nutzen“ zu dürfen. Am 28. Juli 1945 durften sie die Schweiz mit Ziel Bremen verlassen.

Im Rahmen der Wiedergutmachungsverfahren in Bremen wurde der Schweizer Aufenthalt des Ehepaares zunächst angezweifelt. Als Beweis galt später der Moment, in dem Wilhelm Dierks in der Schweiz Reichsmark in Franken wechselte.  Im Schweizerischen Bundesarchiv in Berner lagern Flüchtlingsakten des Ehepaares, in denen die Zeit der Internierung umfangreich dokumentiert ist.

Nach einer umständlichen Reise war das Ehepaar Dierks am 13. August 1945 wieder in Bremen und stellte fest, dass ihr Haus am Ochtum Deich von der Gestapo mit allem Inventar verkauft worden war. Es kostete sie viel Kraft ihr Eigentum zurückzuerhalten. Wilhelm Dierks starb am 21. Januar 1948 nach einem Herzschlag.

Wilhelm Dierks Bruder Julius (geb. 9. August 1917) war ebenso ein Gegner des NS-Regimes. Er wurde vom NS-Volksgericht wegen politischer Zersetzung angeklagt und kam im Strafgefangenenlager Aschendorfermoor/Emsland nur 4 Tage vor Kriegsende um.

Quellen: StA Bremen E4,54-E670, Einwohnermeldekartei
Schweizer Bundesarchiv Bern: SignaturE4264#1985/196#31794*

 

 

 

Veröffentlicht am und aktualisiert am 8. Dezember 2023

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