Oktober 1928 wurde das ursprüngliche Bremer Waisenhaus für Mädchen der Inneren Mission aufgegeben. Die Mädchen wurden anschließend in einer Villa nebenan untergebracht. Dies betraf vor allem „leichtere Erziehungsfälle“. Die „schweren Fälle“ kamen in die anderen bremischen Mädchenheime, wie das Marthasheim, das Isenbergheim und den Hartmannshof. Jedoch durften diese als „leichtere Erziehungsfälle“ eingestuften Mädchen nicht Mitglied im Bund Deutscher Mädel werden.
Nach der vorherrschenden Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entwickelten die Nationalsozialisten mit tatkräftiger Unterstützung von „Wissenschaftler/innen“ und „Psychiater/innen“ Selektionskriterien, nach denen der „Wert bzw. Unwert“ der Kinder und Jugendlichen über deren individuelles Wohl gestellt wurde. In Folge dessen konnten sie zwangssterilisiert, ins Jugendkonzentrationslager abgeschoben oder in psychiatrische Einrichtungen verlegt werden. Dort wurden sie häufig ermordet, starben an Unterernährung oder Krankheiten.
Laut Untersuchung von Gerda Engelbracht* wurden mindestens 41 Jugendliche, die in Bremer Heimen lebten, zwischen 1934 und 1945 zwangsweise unfruchtbar gemacht. Dokumentiert ist, dass mindestens 3 Mädchen und 7 Jungen in Konzentrationslagern oder psychiatrischen Anstalten gewaltsam zu Tode gebracht wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die von diesen Willkürakten Betroffenen lange auf Entschädigungen warten. In vielen Fällen ist es nie zu einer Entschädigung gekommen, weil die Opfer entweder bereits verstorben waren oder ihnen das Antragsverfahren nicht bekannt war. Gerade die Opfer der Zwangssterilisation mussten viele Jahrzehnte auf eine Entschädigung warten, weil ihr Leid nicht gleichgesetzt wurde mit den Erlebnissen anderer Opfergruppen.
Drei Mädchen aus dem Mädchenwaisenhaus in Horn gehörten zu dieser Opfergruppe. Sie wurden, so belegen die überlieferten Akten, beim Bremer Erbgesundheitsgericht angezeigt. Zwei von ihnen wurden zwangsweise sterilisiert.
Mädchen, die nach Meinung der Jugendfürsorge oder der Anstalt „verwahrlost“ waren oder bei denen diese Verwahrlosung nach Meinung der zuständigen Einrichtungen drohte, wurden in auswärtige Anstalten, insbesondere nach Kaiserswerth oder Aprath überstellt.
Heute ist im ehem. Mädchenheim der Jugendhilfeträger „Alten Eichen – Perspektiven für Kinder und Jugendliche gemeinnützige GmbH“ untergebracht.
Quellen: Gerda Engelbracht: „Denn ich bin unter das Jugenamt gekommen* – Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933 – 1945“ (Edition Falkenberg, 2018) und Gerda Engelbracht: „Der tödliche Schatten der Psychiatrie – Die Bremer Nervenklinik 1933 – 1945“ (Donat Verlag, 1996)
* Zitat eines jugendlichen Briefschreibers.